Leidenstour: Tannenbergs neunter Fall
Spielregeln halten. Zuerst müssen wir noch den Werbeblock abwarten.«
»Scheiß Werbung«, zischte es in der ersten Reihe.
Doch der Moderator ließ sich nicht aus dem Konzept bringen. »Ihre Geduld wird reichlich belohnt werden. Das verspreche ich Ihnen. Sie können sich auf hochbrisante Enthüllungen freuen. Nach dieser Pressekonferenz wird nichts mehr so sein, wie es vorher war.«
Der Geschäftsführer des Privatsenders schnellte in die Höhe, fächerte die Arme vor dem Körper auf und verkündete mit anschwellender Stimme: »Gleich wird hier eine Bombe platzen. Sie wird den Radsport und sein kriminelles Umfeld in einem Ausmaß erschüttern, wie es bis heute niemand für möglich gehalten hätte. Die Mauer des Schweigens wird einstürzen und die Lügengebäude werden wie Kartenhäuser ineinander zusammenfallen.«
»Na, dann mal los«, forderte eine kräftige Frauenstimme in Lepplas Rücken.
»Die Schattenmänner des internationalen Doping-Kartells haben versucht, massiven Druck auf unseren Sender auszuüben. Sie wollten unter allen Umständen diese Pressekonferenz verhindern.«
Der Moderator leerte sein Wasserglas mit hastigen Schlucken.
»Da sind wir jetzt aber gespannt. Vielleicht ist ja doch alles nur eine Riesenshow für hohe Einschaltquoten und lukrative Werbeeinnahmen«, vermutete Torsten Leppla in Richtung seines Kollegen.
»Aber wie Sie sehen, haben es diese finsteren Gestalten nicht geschafft«, fuhr der nobel gekleidete Mann fort. »Wir haben uns nicht einschüchtern lassen. Schließlich hat die Öffentlichkeit ein Recht darauf, die ungeschminkte Wahrheit zu erfahren.« Sein Ton wurde noch schärfer. »Es muss endlich reiner Tisch gemacht werden, damit der saubere Radsport eine Zukunft hat.« Der Geschäftsführer drehte sich zur Glaskabine hin. »Hören wir nun, was unser Kronzeuge im Kampf gegen die skrupellose Dopingmafia zu berichten hat.«
Die Strahler flammten auf und tauchten eine zu einem knallgelben Mikrofon hinabgebeugte, regungslose Gestalt in grelles Licht.
Plötzlich zerriss ein ohrenbetäubender Knall die Luft. Eine enorme Druckwelle warf die Presseleute in den ersten Reihen nach hinten und ließ die Lichtstrahler bersten. Erst das kurze Zeit später aufflackernde Blitzlichtgewitter machte das Blut sichtbar, das auf den Scheiben des Glaskastens klebte.
Blut, zähflüssig wie Honig.
1. Etappe
Montag, 29. Juni
Unmittelbar nachdem feststand, dass die Tour de France in diesem Jahr zum ersten Mal in ihrer Geschichte in der Pfalz starten würde, hatte der sportliche Leiter des Turbofood-Teams die Unterkunft für seine Mannschaft gebucht. Der Teammanager überließ nichts dem Zufall. Schon während seiner aktiven Zeit war er der Inbegriff für professionelle Arbeit und Perfektionismus gewesen – Kriterien, die ihm einzigartige Erfolge, aber auch viele Neider beschert hatten.
Das Waldhotel Antonihof bot geradezu ideale Voraussetzungen für ein Abschluss-Trainingslager, das den Radrennfahrern den letzten Schliff für die in fünf Tagen beginnende Tour de France verleihen sollte. Im Herzen des Pfälzer Waldes gelegen, diente es auch Hobbyfahrern als Startbasis für abwechslungsreiche Ausfahrten auf einem gut ausgebauten, aber verkehrsarmen Straßennetz. Die regionale Topografie ermöglichte Trainingseinheiten mit nahezu jedem Streckenprofil. Zudem ließ das Viersternehotel bezüglich Service, Verpflegung, Unterkunft, Fitness- und Wellnessbereich keinerlei Wünsche offen.
Gegen 9 Uhr trafen die Fahrzeuge des Profi-Rennstalls vor dem Hotelkomplex ein. Der Hotelmanager und sein Personal empfingen die Sportler und Funktionäre winkend im Freien. Man war sehr stolz darauf, dieses renommierte Radsportteam beherbergen zu dürfen. Nach einer herzlichen Begrüßung erhielten die Leistungssportler die Schlüssel für ihre Unterkünfte ausgehändigt, damit sie sich gleich in ihre komfortablen Appartements zurückziehen konnten.
Für Florian Scheuermann war es das erste Profi-Trainingslager, an dem er teilnahm. Entsprechend aufgeregt war er. Er konnte sein Glück noch immer nicht fassen. Wegen der schwerwiegenden Verletzung eines Rennfahrers war er völlig überraschend nachnominiert worden. Er hatte zwar durchaus einige beachtliche Erfolge im Juniorenbereich vorzuweisen, aber von einem Sprung in solch ein etabliertes Profi-Team hätte er bis vor Kurzem noch nicht einmal zu träumen gewagt.
Die Teamleitung hatte ihn als sogenannten Wasserträger verpflichtet, wobei diese abschätzige
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