Leise weht der Wind der Vergangenheit
auffielen, wurde umgeben von einer Flut nachtschwarzer Locken, die sich bis weit über die schmalen Schultern ergoss.
„Kennst du meinen Vater?“, wiederholte Joshua seine Frage
mit eindringlicher Stimme. „Ich hab dich hier noch nie gesehen.“
Das Lächeln in dem engelgleichen Gesichtchen des Mädchens erlosch. In die Augen trat ein harter Ausdruck. „Wenn ich ihn nicht kenne, wer dann?“, kam die seltsame Antwort. „Und nun komm endlich, Josh." Ungeduldig zerrte das Mädchen an der Hand des Jungen.
„Wie ist dein Name? Meinen kennst du ja anscheinend." Joshua gab es auf, selbst eine Erklärung für diese unwirklich erscheinende Situation zu finden. Sicher würde er gleich aufwachen und enttäuscht feststellen, dass alles nur ein Traum gewesen war.
„Ich bin Annabel", kam es gleichgültig. „Pass auf, da ist ein Graben. Ich bin an dieser Stelle auch einmal hingefallen. Doch das ist lange her.“
Ehe Joshua noch dazu kam, weitere Fragen zu stellen, waren sie an dem alten Holzhaus angekommen. Das Fenster stand noch immer offen, so wie Josh es vor kurzer Zeit verlassen hatte. Auch das Licht war noch an. „Mein Vater ist nicht da", sagte de Junge leise. „Kommst du mit hinein?“
Annabel blieb stehen. In ihr hübsches Gesicht war ein nachdenklicher Ausdruck getreten. Dann schüttelte sie den Kopf. „Heute nicht", sagte sie leise. Dann hob sie ihre Hand und legte sie für einen kurzen Moment an Joshuas Wange. „Du bist nicht allein, Josh", sagte sie. „Wir alle passen auf dich auf, damit dir nichts geschieht." Sie trat einige Schritte zurück, dann winkte sie ihm zu. „Geh hinein, Josh, sonst erkältest du dich..." Ihre Stimme wurde leiser, vermischte sich mit dem Heulen des Sturmes, der jetzt wieder heftiger wurde. Gnadenlos riss er an dem dünnen Kleidchen des Mädchens, das sich auf einmal von der Mitte her aufzulösen schien.
„Annabel!" Entsetzt starrte Joshua auf das Mädchen, das nur noch schemenhaft zu sehen war. Es wurde durchsichtig und die Konturen vermischten sich mit dem Licht des Mondes. Dann war es verschwunden.
Joshua schüttelte den Kopf. Hatte er das alles nur geträumt, oder war das Mädchen namens Annabel Wirklichkeit gewesen? Er wusste es nicht. Überrascht merkte er, dass seine Atemlosigkeit und auch sein Husten für eine ganze Weile verschwunden gewesen waren. Jetzt kehrten sie mit all ihrer Grausamkeit zurück. Stöhnend presste der Junge beide Hände an die Brust und schluckte verzweifelt, weil er den nächsten Anfall fürchtete.
„Bist du verrückt geworden, Sohn? Was treibst du so spät noch hier draußen, noch dazu bei dem Wetter?" Gregory Simpson baute sich vor dem Jungen auf. In seinen Augen stand heißer Zorn, er hatte die rechte Hand drohend erhoben.
„Ich bin... ich war..." Ein Hustenanfall ergriff den Jungen. Er wand sich in Schmerzen und der Furcht vor Erstickung. „Sie hat mich gerettet, sonst wäre ich vielleicht schon tot.“
„Lass den Unsinn und komm ins Haus." Unsanft griff der Mann nach Joshuas Arm und riss ihn mit sich. Mit dem Fuß stieß er die Holztüre nach innen auf, dann warf er seinen Sohn aufs Bett. „Du solltest längst schlafen.“
Joshua atmete tief ein und schloss die Augen. Langsam wich die Erstarrung von ihm. „Es muss ein Geist gewesen sein", sagte er aus seinen Gedanken heraus. „Aber sie war wirklich wunderschön.“
Gregory Simpson, der Schulleiter und Joshuas Vater, stand an der Spüle, öffnete die Tür zum Hängeschrank und holte ein Glas und eine Schnapsflasche heraus. Dann füllte er das Glas bis zum Rand. Der Hasserfüllte Ausdruck in seinem Gesicht verschwand, als er das volle Glas an die Lippen führte und es in einem Zug austrank. „Wen meinst du?“, fragte er ohne Interesse.
„Annabel", antwortete Joshua arglos und legte die Hände auf seine Brust. Bei der Erinnerung an das schöne Mädchen wurde ihm auf einmal ganz leicht zumute.
„Annabel?" Gregory fiel das Glas aus der Hand. Er stand da wie erstarrt, dann setzte er sich schwankend in Bewegung. Wie ein Rachegott stand er vor Joshuas Bett und starrte auf den Jungen hinab, der erschrocken in sich zusammen kroch. „Zum Teufel, wer ist Annabel?“
„Das Mädchen in dem Ballettkleid", kam es zaghaft.
„Ballettkleid." Gregory wich zurück. Seine Hände fuhren nach oben, griffen an seinen Kopf, als wären es eigenständige Wesen. „Belinda! Annabel!" Er keuchte,
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