Leitfaden China
eingebettet ist».
Keines der bisher in der Forschung erarbeiteten Führungsprofile trifft somit in der Wirklichkeit zu. Einerseits müssen die Mitarbeiter partizipativ engagiert und als gleichwertig akzeptiert werden, was dem partizipativen Profil entsprechen würde, andererseits wären auch Elemente des paternalistischen Stils einzubeziehen. Wichtig scheint jedoch in einer realen Situation, dass von der Führungsperson kein Profil unabhängig von den Geführten gewählt werden kann, selbst wenn sie dies möchte. Das folgende Beispiel aus der Praxis mag die Wichtigkeit eines flexiblen Führungsstils verdeutlichen, der sowohl personale wie situative Elemente je nach gegebener Lage einbezieht. Es stammt von einem überseechinesischen Manager.
Viele Firmen in Shanghai organisieren einen Mitarbeitertransport zum Arbeitsplatz. Die Mitarbeiter werden je nach Zahl entweder zu Hause oder an einem Treffpunkt abgeholt. Nach Produktionsaufnahme und Einstellung einer grösseren Mitarbeiterzahl in der betreffenden Firma wurde der Abholdienst zu Hause nicht mehr möglich, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hatten sich an bestimmten Treffpunkten zu versammeln. Der überseechinesische General Manager gab dem lokalen Personalmanager den Auftrag, diese Organisation, namentlich die Bestimmung der Treffpunkte, mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu besprechen und einzuführen.
Die Aufgabe ging leider schon im ersten Schritt schief, weil der lokale Personalmanager fragte, ob die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit dieser neuen Organisation einverstanden seien, was zu einem «nein» führte. war klar, dass das alte System des Abholens zu Hause gar nicht mehr aufrecht zu erhalten war.
Als diese Frage durch den General Manager geklärt wurde, ging der Personalchef nochmals auf die Angestellten zu. Er konnte jedoch keine befriedigende Lösung erarbeiten, weil niemand selbst hundert Meter weiter zu Fuss gehen wollte als der Nachbar. Der mitarbeiterorientierte General Manager musste das Heft schliesslich in seine eigene Hand nehmen und die Treffpunkte direktiv und aufgabenorientiert festlegen.
Dieser kritische Vorfall zeigt deutlich, dass gerade in einer mitarbeiterorientierten Haltung, wie sie von einer Kollektivgesellschaft verlangt wird, auch ein falsch verstandener kooperativer Führungsstil zum Scheitern führen kann.
Für das chinesische Umfeld geht aus der Befragung hervor, dass die Aufgabenorientierung zu Beginn einer Arbeit ausgesprochen wichtig ist, dass aber in der Folge der Angestellte ständig motiviert und auf diese Aufgabe hin orientiert werden muss. Hier kommt eine stark emotionale Komponente zum Tragen, die im westlichen Unternehmen wesentlich weniger wichtig ist, da sich die Mitarbeiter am Ziel orientieren und selbständiger auf dieses zugehen, wenn es einmal definiert worden ist. In China verlassen sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf die Führung, umso mehr, als sie sich wesentlich stärker auf die Definition des Ziels durch den Vorgesetzten verlassen. Diese Zieldefinition wird als eine seiner wichtigsten Führungsaufgaben betrachtet. Würde eine Führungsperson in derselben Art und Weise auf westliche Untergebene zugehen, so empfänden diese das Führungshandeln schnell als zu persönlich und zu aufdringlich. Im Extremfall kann dieses coaching and caring im westlichen Angestellten sogar zu einer Vertrauenskrise führen. «Hat mein Chef kein Vertrauen mehr in mich?», dürfte eine typische westliche Reaktion darstellen. Im westlichen Umfeld wird wesentlich stärker auf Eigeninitiative und Eigenverantwortung abgestützt. Ein östliches Führungsverhalten scheint diese beiden Charakteristiken westlichen Arbeitens und Handelns schnell in Frage zu stellen.
3. Führungsanforderungen
im Willensbildungsprozess, Führungsstil
Willensbildungsprozess
Auch was die Führungsanforderungen im Willensbildungsprozess angeht, ergeben sich beträchtliche Unterschiede zwischen westlichem und östlichem Vorgehen. Während das Fällen eines Entscheides und die Willensdurchsetzung in China als Aufgabe der Führungsperson betrachtet wird, ist eine breite Entscheidfindung wesentlich wichtiger als in einem westlichen Umfeld. Auf die Frage nach dem direktiven Führungsstil in China antwortete eine im Personalbereich tätige schweizerische Führungskraft: «Von aussen sieht alles sehr autokratisch aus. Aber in einem Willensbildungsprozess sind unzählige Personen in indirekter Weise involviert. Der Westen könnte hier viel
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