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Leitfaden China

Leitfaden China

Titel: Leitfaden China Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Jakob Roth
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Unternehmen. Die Folgen können von der Nichtausführung einer Aufgabe bis zum gegensätzlichen Handeln reichen. Probleme ergeben sich namentlich auch mit der Loyalität, die in der familienbezogenen chinesischen Gesellschaft für ein Unternehmen in mühsamer und konsequenter Art geschaffen werden muss, wenn die Untergebenen tatsächlich für das Unternehmen und nicht einfach für ihre Kernfamilie oder gar in die eigene Tasche arbeiten sollen. «Den meisten Staatsunternehmen ist es nicht gelungen, die Familienstruktur dauerhaft zu ersetzen oder eine parallele Struktur dazu aufzubauen. Die Unternehmen werden heute allzu oft als eine Bezugsquelle angesehen, aus der man möglichst viel für sich und seine Familie als die wirkliche Identifikationseinheit herauszuholen versucht», schreiben Tang und Reisch (1995, S. 162/63). Was sie für Staatsunternehmen damals schrieben, gilt generell für Unternehmen in einem chinesischen Gesellschaftsumfeld und basiert, wie schon dargestellt, auf der zentralen Rolle der chinesischen Familie im sozialen Kontext.
    Die Kommunistische Partei hatte nach der Gründung der Volksrepublik China versucht, mit der von der Befreiungsarmeee übernommenen Organisation der Arbeitseinheiten (danwei) die gesellschaftlichen Grundstrukturen Chinas zu verändern und so neue Loyalitäten für den neu geschaffenen Staat aufzubauen (siehe Li & Wang, 1996; Li, 1991). Doch mit der Öffnung nach 1978 und der damit einhergehenden wirtschaftlichen Liberalisierung sind diese Versuche gescheitert, das chinesische Familiendenken ist mit Vehemenz wieder zu Tage getreten und wird für alle, die Familienstruktur übergreifenden Interessen in Zukunft ein Problem darstellen. Hier dürfte eine der grössten Herausforderungen für den chinesischen Staat als Ganzes und für seine Aussenpolitik im besonderen liegen. Wie kann er garantieren, dass Staatsinteressen in diesen Familienstrukturen sichergestellt werden? Auch im Unternehmensbereich sind die Auswirkungen deutlich. Gelingt es einem General Manager nicht, jedem Angestellten klarzumachen, dass die Firma eine neue, grössere Familie ist, welche Loyalität verlangt, gehen die Interessen der Kernfamilie vor. Die Öffnung Chinas hat die familiäre Grundstruktur erneuert und viele Bemühungen der Kommunistischen Partei, eine breitere soziale Basis zu schaffen, wieder zunichte gemacht – nicht nur zum Guten für das Land.
    Je stärker hingegen auf die situativen Elemente eingegangen werden muss, desto wichtiger werden klare persönliche Haltungen. Eine erfolgreiche interkulturelle Herausforderung gründet auf einer Person, die ihre Stärken und Schwächen kennt und eine klare eigene Identität hat. In diesem engen sozialen Umfeld eines Unternehmens in China kommen die persönlichen Seiten früher oder später ans Licht. Sie nicht wahrnehmen zu wollen oder nicht zu ihnen zu stehen, hiesse, Probleme geradezu herauszufordern. Im Unterschied zu westlichem Verhalten, in welchem einer ungeliebten Person möglichst ausgewichen wird, ist die Situation in China schwieriger, wie ich bereits für das Kundenverhalten zu zeigen versucht habe. Hier arbeitet man aktiv gegen jemanden, den man nicht mag. Die ungeliebte Führungsperson wird letztlich «aufgefressen» oder «getötet», wie sich zwei erfahrene schweizerische Führungspersonen ausdrückten. Die etwas übertriebenen Beschreibungen treffen auf dieses harte Umfeld mehr als zu. Von dem oft gerühmten Konsens- und Harmonieempfinden Ostasiens ist in solchen Interaktionen nichts mehr zu spüren.
    Die situative Bestimmtheit der Führungssituation geht aber weit über die Unternehmensorganisation hinaus. Dies wurde von einer ausländischen Führungskraft ausgedrückt: «Situative Elemente sind in China viel wichtiger als zu Hause». Die Beziehungen zu den Behörden beispielsweise nehmen nicht nur in bestimmten Phasen des Unternehmensaufbaus oder der -erweiterung eine zentrale Rolle ein, sie sind auch bei einem Erfassen des politischen Umfeldes wichtig. Gerade chinesische Führungskräfte sehen diesen Punkt ihres eigenen gesellschaftlichen Umfeldes sehr deutlich, sie sind davon wesentlich abhängiger als eine entsandte Führungskraft, die nicht zur chinesischen Gesellschaft gehört und dadurch eine gewisse Unabhängigkeit geniesst. Andererseits ist sie nie so nahe am Geschehen, wie eine chinesische Person. In der parallelen Umfrage unter chinesischen Unternehmen kommt diese situative Abhängigkeit des Unternehmens vom politischen

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