Leitfaden China
Kontext deutlich zum Ausdruck, wenn beispielsweise von einem der chinesischen Manager unserer Umfrage gesagt wurde: «Geschäftsmöglichkeiten und Geschäftsrisiken hängen von der Wahrnehmung von Veränderungen im politischen Umfeld und in den Machtverhältnissen ab. Man muss sich mit diesen Veränderungen befassen und sie verstehen lernen. Idealerweise muss man sogar den Einfluss haben, sie selbst mitzubestimmen».
Der starke Einfluss der Situation auf das Führungshandeln ist auch der Grund, warum im abschliessenden Rating der Führungsaufgaben durch die befragten Personen Planung in China in der Regel als weniger wichtig eingestuft wurde als in Europa. Angesprochen auf diese Wertung meinten sowohl westliche wie chinesische Führungskräfte, dass es im chinesischen Umfeld keinen Sinn macht, allzu stark zu planen, da sich das Umfeld sehr schnell verändert und die mittel-oder längerfristigen Einschätzungen kaum je der dannzumaligen Wirklichkeit entsprechen.
Gerade die Frage der unklaren Rechtsgrundlagen im Wirtschaftshandeln unterstreicht die situative Abhängigkeit eines Unternehmens vom globalen gesellschaftspolitischen Zusammenhang. Hier liegen grosse Risiken, wie aus den Aussagen einer chinesischen und einer schweizerischen Führungskraft deutlich wurde: «Geschäftspraktiken gehen oft über die von der Regierung definierten Regeln hinaus» und «wir machen auch Dinge, welche wir nach Vorschrift eigentlich nicht dürften». Viele der befragten Personen meinen deshalb, das chinesische Umfeld biete ihnen wesentlich grössere Handlungsräume als ein westliches Umfeld. Dabei wurden in der Frage die grösseren Kompetenzen als jene eines vergleichbaren Postens im Mutterhaus von vornherein ausgeschieden.
Um Einflussmöglichkeiten auf die Politik zu haben oder ihre negativen Konsequenzen auffangen zu können, muss allerdings ein entsprechendes Netzwerk vorhanden sein. Für den Aufbau eines Netzwerks mit der politischen Führung gelten dieselben Regeln wie für den Vertrauensaufbau generell. Das Vertrauen mit den Funktionären muss in längerer Zeit erarbeitet werden. Fehlende oder geschädigte Beziehungen können in dieser Kollektivgesellschaft, in der die Ethik auf der Beziehungsebene angesiedelt ist, direkte negative Auswirken auf den Gang des Unternehmens haben. Umgekehrt wird in China mit guten Beziehungen vieles möglich, was in einem anderen Umfeld ausgeschlossen wäre.
Gerade aus dieser Tatsache zeigt sich, dass gute Führungskompetenz auf einer klaren Identität, einer guten Sozialkompetenz und einem ausgeprägten analytischen Denken gepaart mit einem hochpragmatischen Handlungsmuster beruht. Der Erfolg der Führungskraft geht dabei ebenso von ihrem sozialen und natürlichen Umfeld aus, wie von ihren eigenen Kompetenzen. Sie muss jedoch gleichzeitig genügend Abstand zum Geschehen haben, um eine gewisse Objektivität zu behalten und die strategischen Herausforderungen sowie die grundlegenden Risiken wahrnehmen zu können.
Führungsverhalten wird somit im täglichen Umfeld tatsächlich flexibel in Abhängigkeit von der Situation gewählt, wie dies von Hentze, Kammel und Lindert (1997, S. 299) beschrieben wurde.
2. Aufgaben- und Mitarbeiterorientierung
Die Ergebnisse der Ohio- und Michigan-Studien
Angesprochen auf Aufgaben- und Mitarbeiterorientierung ergibt sich aus den verschiedenen Interviews mit Ausländern und Chinesen eine weitere Präzisierung. Auch wenn von mehr als zwei Dritteln der Führungskräfte anerkannt wird, dass in China wesentlich stärker personenorientiert geführt werden muss, so wird die Unterscheidung zwischen Aufgaben- und Mitarbeiterführung als solche nicht anerkannt. Die in der Praxis operierenden Führungskräfte weisen alle darauf hin, dass immer beide Seiten berücksichtigt werden müssen. Je nach Problemstellung und nach zeitlichem Moment im Problemlösungsprozess sind jedoch verschiedene Mischungen der beiden Komponenten anzustreben. Die Aussagen greifen entweder die Unterscheidung direkt an – «eine künstliche Unterscheidung» – greifen die Möglichkeit einer Kombination auf – «die beiden Stile können kombiniert werden» – oder weisen darauf hin, dass eine Zielorientierung nur mit einer Personenorientierung Sinn macht, welcher die Priorität zukommt – «ein mitarbeiterorienterter Stil ist absolut notwendig, Chinesen reagieren nicht auf Ziele ohne persönliche Führung und Motivation. Ziele bedeuten ihnen wenig ohne das Netzwerk, in das ihre Arbeit
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