Lektionen (German Edition)
Antwort auf Christophers fragenden Blick sagte sie mutig: «Die Königin der Biere.»
«Du hast es raus!»
Penny grinste Sarah von der anderen Tischseite her an, wo sie sich mit Dan unterhielt. Penny, Dan, Christopher – Sarah kannte sie alle schon jahrelang. Warum waren sie ihr nicht schon früher aufgefallen?
«Wo kommst du her?», fragte sie Christopher.
«Ich bin Barbadier.»
«Ich weiß nicht –»
«Aus Barbados.»
«Oh. Barbadier. Schick.» Hätte sie das wissen sollen? Auf einmal kam sie sich dumm vor. Warum war sie überhaupt hier und versuchte zum ersten Mal, umgänglich mit ihren Kommilitonen zu werden, wo der Studienabschluss unmittelbar bevorstand?
«Ist ja gut. Guck nicht so zerknirscht. Bin dir nicht sauer, Mann.»
Sarah lachte. Bisher hatte sie Christopher nur das allerfeinste britische Englisch sprechen hören, und heute Abend sagte er fast alles in einer Art, die sie kaum verstehen konnte. Die Verbindung aus beidem vom einen Satz zum nächsten war entwaffnend.
«Sei mal locker», murmelte Christopher. Er rieb ihren bloßen Arm, wobei sich die Härchen aufrichteten und sie zu frösteln begann. «Ich werd dich schon nicht fressen, Mädchen.»
«Das hoffe ich doch. Wo du so viele Chicken Wings, wie du willst, für fünfunddreißig Cent das Stück haben kannst.»
«Gut gesagt! Mehr Wings!» Christopher winkte nach der gehetzten Kellnerin, die aber nur ein nettes Lächeln für ihn übrig hatte. Er war beliebt, wurde Sarah klar. Wahrscheinlich ein Stammgast. Aber sie wusste, dass er stets gute Noten bekam, zumindest in den Philosophieseminaren, die sie gemeinsam besuchten. Mehr als einmal hatte sie mit ihm um den ersten Platz gekämpft und nicht immer gewonnen.
Vermutlich war er ziemlich ausgewogen, während sie – nun, sie weniger. Aber vielleicht war es ja noch nicht zu spät? Sie war doch hier, oder nicht?, aß Chicken Wings und trank Bier mit ihren Kommilitonen. Bestimmt hätte sie noch genug Zeit, sich «dazugehörig» zu fühlen, wenn sie das wollte. Aber was würde das mit sich bringen? Zeitaufwand natürlich und jede Menge Gespräche. Wahrscheinlich die Preisgabe von Geheimnissen. Früher hatte sie nie etwas zu verbergen gehabt und war doch immer so still gewesen. Jetzt hatte sie zweifellos Geheimnisse. War es somit vernünftig für sie, sich in unbekannte Gewässer zu begeben?
«Du schürfst aber gerade sehr tief», meinte Christopher. Er tippte sich an die Schläfe. «Deine Augen sehen aus wie zwei glasierte Donuts.»
«Bezaubernder Vergleich, Christopher.»
«Und treffend dazu.»
«Ich hab mich gerade gefragt, was herauskäme, würden wir jeder plötzlich aufstehen und laut unsere Geheimnisse von uns geben.»
«Ich hab nur eins», sagte er und legte eine Hand auf seine Brust. «Eins, das ich schon jahrelang auf dem Herzen habe. Ich bin in dich verknallt.»
Sarah wurde rot. «Ich meinte damit nicht, dass wir’s sollten, nur falls wir’s täten –»
«Aber ich war anfangs zu schüchtern. Und ehe ich dir näher kommen konnte, hatte diese Quasselstrippe von Geschichtsstudent dich aufgegabelt.»
«David?»
Christopher nickte. «Ich hab darauf gewartet, dass du genug von seinen muffigen Grübeleien über die Vergangenheit hast. Und endlich ist es so weit!»
«Nun, wir – sehen uns aber noch immer.»
«Du musst wie ich das Grübeln über die Zukunft vorziehen, sonst wäre Philosophie nicht dein Hauptfach.»
«Ist es das, was wir tun?»
«Ich denke doch. Wir greifen die Tagesereignisse auf und wenden kritisches Denken an, um Dummheit von Weisheit trennen und vielleicht verhindern zu können, dass sich die Vergangenheit wiederholt. Es geht nicht bloß darum, sich ihrer zu erinnern, wie einem die Historiker weismachen wollen. Meinst du nicht auch?»
«Mag sein. Wenn man uns so zuhört.» Sarah war es peinlich, als hätte sich ihre Körpermasse plötzlich verdoppelt. So kam es immer wieder, wenn sie sich unbehaglich in ihrer Umgebung fühlte, und auf einmal, in dieser Kneipe zusammen mit diesem hinreißend aussehenden Mann, fühlte sie sich sehr unbehaglich. «Ich sollte besser gehen.»
Christopher stieß seine Stirn auf den Tisch. «Ich hab’s völlig vergeigt.»
«Nein.» Sarah stand auf und berührte ihn dabei am Kopf. Sein Haar war unglaublich weich, ganz anders als erwartet. «Ich bin halt seltsam, Christopher. Sorry.»
«Aber –»
Sie warf ein paar Geldscheine auf den Tisch, griff nach ihrem Rucksack und ließ die Einwände ihrer Tischnachbarn außer Acht. Auf
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