Lektionen (German Edition)
Unterrichtsweise. Andererseits musste sie ihm eins lassen. Gab es eine bessere Art, die «Zwecklosigkeit des Lebens» zu lehren?
Penny glitt auf den leeren Platz neben ihr. Während der letzten drei Jahre war sie in vielen Seminaren gemeinsam mit Sarah gewesen, sich bis vor kurzem aber nur selten mit ihr unterhalten. Aus irgendeinem Grund, vielleicht wegen ihres neuen Stils, gehörte Sarah nun dazu wie noch nie zuvor.
Ihr hatte es nichts ausgemacht, glaubte sie jedenfalls. Oder doch? Sie war schon immer eine Einzelgängerin gewesen. Aber es machte Spaß, viel mehr Spaß, als sie gedacht hätte, Freundschaft mit den anderen Studierenden zu schließen.
«Hi», sagte Penny. Sie deutete mit dem Kopf auf Professor Braun. «Wieder voll dabei, wie ich sehe.»
«Hm.»
«Trottel», murmelte sie mit Blick auf die gesenkten Köpfe der Streber. «Ist doch alles völlig sinnlos. Schon gemerkt?»
«Und ob», entgegnete Sarah.
«Ein paar von uns gehen nachher raus zur langen Pintennacht. Kommst du mit? Chicken Wings für fünfunddreißig Cent.»
Sarahs übliche Antwort wäre, sich zu entschuldigen, aber sie zögerte. Ihre beste Schulfreundin war Alice gewesen, noch ein gescheites, eigenbrötlerisches Mädchen, das mittlerweile Archäologie an der Universität von Luxor studierte. Ihr Austausch beschränkte sich nun auf E-Mails und gelegentliche Anrufe.
Sarah war immer mit einer einzigen Freundschaft zufrieden gewesen, und seit sie an der Uni war, hatte David diese Funktion recht gut ausgefüllt. Jetzt jedoch mied sie ihn, wo sie nur konnte.
Da sie nur an den Wochenenden als Begleiterin tätig war und lediglich samstagmorgens als Fremdenführerin arbeitete, stand es ihr frei, heute Abend die Rolle der Studentin zu spielen. Beinahe lachte sie laut auf. Es war schließlich keine «Rolle», nicht so wie «Voyeurin» oder «Krankenschwester». Es war, was sie war.
«Herrje», meinte Penny. «Ist ’ne Einladung in die Kneipe, keine Frage nach dem Sinn des Lebens.»
«Ja, in die Kneipe», flüsterte Sarah. «Und da du offenbar Professor Brain nicht zugehört hast: Das Leben, mein Kind, ist sinnlos.» Sie machte sich eine Notiz in ihrem Kollegheft. Es könnte etwas weiterer Untersuchung Würdiges an ihrem Sinnieren über die von ihr gespielten Rollen sein. Die ganze Welt ist eine Bühne, schrieb Shakespeare, und Männer und Frauen sind bloß Schauspieler … Was, ließe sich fragen, soll das bedeuten?
«Du musst einfach ein Lager trinken», rief Christopher. Er war Westinder, schlank, feingliedrig und hatte eine Hautfarbe wie ein Karamellbonbon.
«Okay! Wenn dir so viel dran liegt, werde ich ein Lagerbier trinken.» Sarah hob die Hände in gespielter Ergebenheit. Als sie die Arme wieder senkte, ließ sie den einen um Haaresbreite neben seinem auf dem Tisch liegen. Der Farbunterschied zwischen ihren Händen fesselte sie.
«Ein Lagerbier für die Lady und eins für mich», rief Christopher. Er schien nur über eine Lautstärke zu verfügen, wobei das in der lauten Kneipe der Studentenvereinigung Sinn ergab.
Sarah fragte sich, ob er auch beim Kommen brüllte oder beim Sex leise wurde, wie das manche Männer taten. Sie verspürte die vertrauten Sehnsuchtsregungen in der Magengrube. Wie würde sich Sex ohne eine daran geknüpfte Absicht anfühlen? Hatte sie solchen je gehabt? Selbst beim ersten Mal mit Jack hatte sie ihren Geburtstag damit feiern wollen, ihre Jungfräulichkeit zu verlieren. Seither hatte sie sich entweder für Geld auf Sex eingelassen oder David das Allernötigste gegeben, um ihn halbwegs bei Laune zu halten.
Christopher grinste sie an, als ihr Bier kam. Er hob seine Flasche, prostete Sarah knapp damit zu und führte sie an den Mund.
Er hatte einen wunderschönen Mund: üppige rosafarbene Lippen und makellose, strahlend weiße Zähne. Er trug einen Pullover, obwohl es heiß in der Kneipe war. Als Westinder war er sicher kälteempfindlich. Er sah nicht so aus, als hätte er viel Fleisch auf den Knochen. Sie fragte sich, ob er Haare auf der Brust hatte oder sie so glatt und karamellfarben war wie seine Hände?
Sarah musste sich zurückhalten, nicht einfach mit den Händen unter seinen Pullover zu fahren und es herauszufinden. Stattdessen langte sie nach ihrem Bier und ahmte Christopher nach, indem sie einen großen Schluck nahm. In Wahrheit schmeckte es genauso abstoßend wie jedes andere Bier, das sie probiert hatte, seit sie Alkohol trank. Es prickelte ihre Nase hoch. Sie schluckte es schnell hinunter. Zur
Weitere Kostenlose Bücher