Lektionen (German Edition)
das einfach anzuerkennen und hinzunehmen. Sie war eine Studentin, sie war eine Begleiterin, eine Fremdenführerin und mehr, eine Tochter und Schwester und Freundin. Teile eines Ganzen. Sie brauchte weder Jack, noch liebte sie David, noch wollte sie Christopher. Eigentlich nicht. Vielleicht übte sie sich ja zu gern in Schubladendenken, aber alle Schubladen zusammen ergaben ein Ganzes, und das war Sarah, und damit kam sie bestens zurecht.
«Vorwärts», befahl sie sich.
[zur Inhaltsübersicht]
Kapitel 8
Einem Bericht im Toledo Blade zufolge musste GeoMancy zwanzig Prozent seiner Angestellten entlassen. Vielleicht hatte George deshalb bei seiner Betriebsfeier im Rollstuhl erscheinen wollen. Behinderte sind weniger leicht zu feuern.
Sarah begann sich mit ihrer neuen Beliebtheit an der Uni allmählich wohler zu fühlen. Immerhin musste sie sich nicht jeder Kneipennacht oder Lerngruppe anschließen, um dazuzugehören, sondern ihren Philosophiekommilitonen nur etwas mehr Aufmerksamkeit schenken. Kommilitonen. Vermutlich durch sein Liebesgeständnis gedemütigt, blieb Christopher auf Abstand. Sarah hatte nichts dagegen. Sie konnte die Verwicklung nicht gebrauchen.
Manchmal fragte sie sich, welcher neue Umstand genau diesen Beliebtheitsschub ausgelöst hatte. Frisur und Schminke konnte nur ein Teilverdienst gebühren. Zum Teil musste es an ihrem neuen Selbstvertrauen liegen. Jede neue Verabredung bestätigte ihr Vermögen, Männern zu gefallen, und nährte ihre Sinnlichkeit. Es machte sie für beide Geschlechter annäherungswürdig. Schau an.
Auch ihre Garderobe hatte sie aufgewertet, aber unauffällig. Ihre Mitstudenten wären erschüttert gewesen, hätten sie gewusst, was ihre Stiefelletten, Jeans und die Bomberjacke aus scharlachrotem Ziegenleder gekostet hatten. Außerdem hatte Sarah sich einen Laptop für zweitausend Dollar zugelegt und ihn dann verschrammt, um ihn für gebraucht gekauft auszugeben. Zum ersten Mal hatte sie Geld. Auch das machte sie selbstsicherer.
Obgleich sie ihrem Wesen nach immer noch eine Einzelgängerin war, fühlte sie sich nun wohler im Umgang mit anderen wie auch in der eigenen Haut. Seit jenem Abend in der Studentenkneipe hatte sie diese seltsame «Feistheit» nicht mehr verspürt, die sie außerhalb ihres Wohlfühlbereichs überkam. Sie war nicht wieder in der Kneipe gewesen, hatte aber andere Wege gefunden, Zeit mit ihren Freunden zu verbringen. Selbst Einzelgänger brauchen Studienfreunde und jemanden für gemeinsame Mittagessen oder philosophische Streitgespräche oder Vorlesungsbesuche. Ihr fiel es nun leichter, einen Jungen zu grüßen oder ein Mädchen an ihren Mensatisch zu winken oder in einem Seminar zusammenzurücken, damit sich noch jemand neben sie setzen konnte.
David hatte sie lieber als Außenseiterin gehabt. Nun, ihr war er damals auch lieber gewesen. Vielleicht argwöhnte er, das eine Treffen pro Woche, das sie ihm einräumte, stets mit einer pflichtschuldigen Handarbeit als Höhepunkt, sei Wohltätigkeit ihrerseits. Sie wusste, dass sie sich etwas mit ihm einfallen lassen musste, scheute aber aus Angst, ihn zu verletzen, davor zurück. Sarah hatte beschlossen, sich eines Tages von ihm vögeln zu lassen und ihn dann abzuhängen. Spielte sie ihr Blatt richtig aus, würde er sich auf der Welle seiner sexuellen Fertigkeiten wiegen und erpicht darauf sein, diese an anderen Mädchen auszuprobieren. Er würde kaum merken, dass sie weg wäre. Jedenfalls war das der Plan. David war ein netter Kerl, sie ihm aber schlicht und ergreifend inzwischen entwachsen.
Sarahs frischgesteigerte Selbstachtung erfuhr einen Dämpfer, als sie sich in Veronicas Wartezimmer mit zwei weiteren Begleiterinnen wiederfand. Sie sahen nach Mitte bis Ende zwanzig aus. Eine trug ihr glänzend schwarzes Haar streng eckig geschnitten, die andere hatte ihr honigfarbenes hochgesteckt. Sie waren stärker geschminkt als Sarah, dies aber stilsicher, als hätte ihr Geschäft irgendetwas mit Schönheitspflege zu tun. Gewissermaßen tat es das ja auch.
Das Kostüm der einen war dunkelgrau mit blassen Nadelstreifen, der Zweiteiler der anderen smaragdgrün über einer gelben Seidenbluse. Beide Kostüme mussten das Werk berühmter Modeschöpfer wie Chanel oder Givenchy oder ihresgleichen sein. Sarah kannte sich nicht gut genug aus, um das genau zu erkennen. Vielleicht sollte sie mal die Vogue lesen.
Die Frauen beachteten sie nicht. Sie belauschte ihr Geplapper. Die Honigblonde war vergangene Nacht in einem
Weitere Kostenlose Bücher