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Lemberger Leiche

Lemberger Leiche

Titel: Lemberger Leiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Ramge
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Kleiderschrank und eine Kommode leer, zieht Bettwäsche ab, sortiert mehrere Paar Schuhe aus und entsorgt etliche Kosmetikartikel aus dem Bad.
    Durch das Haus peitscht Musik. Während Frau Kurtz sorgfältig und zielstrebig arbeitet, zuckt sie im Rhythmus oder stapft mit den Füßen. Unheimliche, gewaltige Klänge dröhnen durch ihren Kopf und benebeln ihre Gedanken. Das Orchester scheint zu rasen und versetzt sie in Trance. Sie will heute nicht mehr denken. Das Musikstück ist zehn Mal hintereinander auf die CD kopiert. Gesamtspielzeit 63.02 Minuten.
    Als die CD abgespielt ist, hat Frau Kurtz drei Müllsäcke gepackt, lädt sie in der Garage ins Auto und fährt zu einem weit entfernten Containerplatz.
    Nachdem sie zurück ist, dreht sie den Player wieder voll auf. Die gleiche Musik wie vorher rauscht, zuckt, donnert durchs Haus, als wollte sie die Wände sprengen. Die unheilverkündenden Klänge verfolgen Frau Kurtz von Zimmer zu Zimmer, sind immer gegenwärtig, während sie aufräumt und alles so arrangiert, wie es noch vor einem Jahr gewesen ist. Als das geschafft ist, schlägt es vom Turm der Stadtkirche zwei Uhr. Brünnhilde Kurtz schaltet den CD-Player aus und fällt erschöpft, aber mit sich zufrieden ins Bett.

    Zur gleichen Zeit, als Frau Kurtz die Müllsäcke beim Abfallcontainer ablud, hörte Helene eine Sondermeldung im Südwestrundfunk.
    Danach rief sie trotz später Stunde bei Irma an. »Nun weiß ich«, palaverte sie los, »was das Martinshorn zu bedeuten gehabt hat.«
    »Martinshorn?«
    »Na, kurz bevor wir vom Weinblütenfest am Lemberg aufgebrochen sind, ist doch ein Krankenwagen mit Sirenengeheul durch Feuerbach gejagt.«
    Irma gähnte. »Na und? Was zum Teufel ist denn jetzt mitten in der Nacht so wichtig daran?«
    »Als nach dem Fußballspiel endlich wieder Leben in die Straßen gekommen ist und die Feuerbacher ihre Hunde noch ausgeführt haben, hat ein Gassigeher einen alten Mann gefunden.«
    »Gefunden?«
    »Der Mann ist auf der Wiener oder Grazer oder Klagenfurter Straße – ich komme mit den österreichischen Straßennamen meist durcheinander – gefunden worden, jedenfalls lag sein Kopf, in welcher Straße auch immer, auf der Gehwegkante in einer Blutlache.«
    »Er wird umgefallen sein. Kein Wunder bei der Hitze«, sagte Irma. – »Wie hast du eigentlich unseren Besenwirtschaft-Ausflug überstanden? Bist du mir auch nicht böse, weil ich dich über den ganzen Feuerbacher Höhenweg gelotst habe?«
    »Und das ohne jeden Erfolg«, maulte Helene. »Wie hätten wir auch bei den vielen Gärten die seltsamen Schwestern wiederfinden sollen? – Aber mir hat unser Ausflug trotzdem gefallen. Danke, Irma, dass du mitgekommen bist.«
    »Ich hab zu danken«, sagte Irma. »Es war ein Prachtpanorama und der Lemberger Riesling war auch super.«
    »Da sind wir uns ja wieder einmal einig!« Helene lachte, und Irma meinte zu sehen, wie ihr Gesicht aufblühte. »Wir sind vom Thema abgekommen«, sagte Helene. »Was ich dirunbedingt sagen wollte: Der alte Mann mit dem Loch im Kopf hat neben einem Kater gelegen.«
    »Neben einem Kater?«
    »Neben einem mausetoten Kater. Wahrscheinlich sind sie beide von einem Auto angefahren worden. Oder jemand hat den Mann umbringen wollen und hat stattdessen den Kater erwischt.«
    Irma schüttelte den Kopf. »Könnte dir die Hitze etwas geschadet haben, Helene? Du brauchst deine Miss-Marple-Ambitionen nicht zu übertreiben. Hast du vergessen, dass es nicht ungefährlich ist, eine Leiche zu finden?«
    »Papperlapapp«, sagte Helene Ranberg. »Nix Leiche. Der Mann war nur ohnmächtig. Er ist im Krankenhaus wieder zu sich gekommen.«
    »Woher weißt du das?«
    »Haben sie auch im Radio gemeldet. Die Polizei sucht Zeugen.«
    »Wie ich dich kenne, Helene, hältst du den Vorfall für einen Mordversuch. Aber schließlich schwebt der Mann ja nicht in Lebensgefahr.«
    »Doch, er schwebt. Sonst wär’s ja nicht im Radio gekommen. Oder?«
    »Hm«, machte Irma. »Und wieso sollte das ein Mordversuch gewesen sein?«
    »Bei dem Kater ist es ja nicht beim Versuch geblieben«, erklärte Helene hartnäckig.
    »Ich bin froh, nicht für ermordete Kater zuständig zu sein«, sagte Irma.
    »Schade«, sagte Helene. »Gut’s Nächtle, Irma.«

Zwei
Montag, 28. Juni
    Brünnhilde trauerte ihrer Kindheit nicht nach. Bis zu ihrem zehnten Lebensjahr war sie zu klein für ihr Alter gewesen. Und zu dick. Ihre einzige Leidenschaft galt Essen und Trinken, ohne Vorlieben für bestimmte Speisen. Sie kaute

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