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Lemberger Leiche

Lemberger Leiche

Titel: Lemberger Leiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Ramge
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Röntgenblick und der Fragerei liegt an ihrem Beruf.«
    Die große Schwester grinste: »Ich tippe auf Psychoklempnerin. So eine, die sich einbildet, die Leute durchschauen zu können und sie auszufragen weiß.«
    Diese Unterstellung und der hämische Ton, in dem sie vorgetragen worden war, reizten Helene.
    Sie setzte sich kerzengerade und sagte hoheitsvoll: »Meine Tochter ist Kommissarin bei der Stuttgarter Kripo.«
    Irma hinter dem Holzstapel zuckte die Schultern, ärgerte sich über Helenes Schwatzhaftigkeit und machte sich auf den Weg zum Dixi-Klo.
    Die Schwestern hatten es plötzlich eilig, tranken ihren Wein aus, sagten »Ade« und gingen im Sturmschritt zum Feuerbacher Höhenweg. Die Kühltasche trugen sie, jede an einem Henkel, zwischen sich.
    Als Irma zurückkam, waren sie schon außer Sichtweite.
    Helene sagte: »Der komische Verein ist abgezogen. Stell dir vor, Irma, sie haben uns für Mutter und Tochter gehalten.«
    »Könnte ja sein«, sagte Irma und lachte. »Ich hätte nichts dagegen.«
    Helene hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie Irmas Beruf ausgeplaudert hatte. Um diesen Fauxpas zu verdrängen, lehnte sie sich zurück und ließ ihrer lyrischen Ader freien Lauf:
    »
Die Schwestern zwei, die schönen
    Nicht gleich von Angesicht
    Sie sind wie Pferd und Esel
    Und mögen sich auch nicht
.
    Sie tragen auch kein gleich Gewand
    Doch wandern tun sie Hand in Hand

    »Passt«, sagte Irma amüsiert. »Hast du das jetzt so schnell zusammengedichtet?«
    »Iwo!«, sagte Helene. »Das ist auch von Mörike.«
    »Ach ja. Von deinem Lieblingsdichter, den du frech und dreist ständig falsch zitierst.«
    »Ich ändere nur leicht ab«, sagte Helene.
    »Und wie heißt es richtig?«
    »Das bring ich jetzt nicht zusammen nach den vielen Viertele«, gab Helene zu. »Aber ich leih dir den Gedichtband, da kannst du’s nachlesen. Ich finde, du solltest dich für die Dichter, die hier in Schwaben gelebt und gewirkt haben, mehr interessieren.«
    »Ich kenne mich ganz gut mit Schiller aus», sagte Irma. »Reicht das nicht?«
    »Nein, reicht nicht.« Daraufhin wollte sich Helene von der Theke noch ein Viertele holen.
    Irma, die sich immer wieder wunderte, wie viel Helene vertragen konnte, hielt sie aber diesmal zurück und säuselte:»Darf eine vernünftige Tochter einer unvernünftigen Mutter raten, auf weitere Schöppchen zu verzichten?«
    Helene zog einen Flunsch, kam jedoch brav mit einer Flasche Mineralwasser zurück.
    »Ich hätte dir ein weiteres Viertele gegönnt«, entschuldigte sich Irma, »aber wir haben noch einen weiten Weg vor uns.«
    »Fahren wir nicht mit dem Pendelbus runter?«
    »Nee. Wir machen einen alkoholspiegelsenkenden Verdauungsspaziergang über den Feuerbacher Höhenweg.« Irma zog ihren Stadtplan aus der Tasche. »Wenn wir an der Hattenbühlschule rechts abbiegen und durch die Grünanlage Schelmenäcker laufen, sind wir in Nullkommanichts an der Straßenbahnhaltestelle Wilhelm-Geiger-Platz.«
    »Das ist aber weit!«, maulte Helene.
    »Es geht doch immer bergab. Das schaffst du locker.«
    »Ja, aber weshalb diese Strapaze? Wir könnten hier so lange sitzen bleiben, bis über uns die Sterne und unter uns die Lichter von Feuerbach aufgehen und dann den letzten Pendelbus nehmen.«
    »Also gut, Helene«, sagte Irma, »geb ich’s eben zu. Ich möchte wissen, ob diese seltsamen Schwestern wirklich hier oben einen Kleingarten haben.«
    Helene schmunzelte: »Was flüstert dir schon wieder deine Intuition?«
    Irma lachte. »Meine Intuition flüstert mir, dass mit den beiden irgendetwas nicht stimmt.«
    »Hmm«, brummte Helene verdrießlich. »Dass du in jeder Lebenslage deinen Mitmenschen irgendwelche Strafdelikte andichtest, finde ich allmählich nervtötend.«
    »Statt deiner Maulerei wäre mir lieber, du würdest mal deine kleinen grauen Zellen mobilisieren. Hast du deine Fähigkeiten, die dich auf unserer Ägyptenreise zu einer Miss Marple gemacht haben, bereits wieder eingebüßt?«
    Das ging eindeutig an Helenes Ehre. Ihr Stolz, eine gesuchte Mörderin erkannt zu haben, war noch nicht verflogen.
    Deswegen beeilte sie sich jetzt zu versichern: »Wenn du’s nun sagst, Irma, es stimmt: Die beiden haben sich benommen, als ob sie was auf dem Kerbholz hätten.«
    Irma grinste. »Willkommen, Miss Marple!«
    Helene hütete sich zu beichten, den Schwestern Irmas Beruf verraten zu haben.

    An diesem Abend ist Brünnhilde Kurtz in ihrer Wohnung außerordentlich umtriebig. Sie räumt im Gastzimmer den

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