Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lemmings Himmelfahrt

Lemmings Himmelfahrt

Titel: Lemmings Himmelfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
Vom Netzwerk:
säuerliches Lächeln ab. «Er ist hier der Chef.»
    «Was ist Ihr Fachgebiet, Frau Doktor?»
    «Neurologie. Also gehen S’ mir ruhig auf die Nerven. Tut Ihnen was weh?»
    «Ja   … Der Kopf   …»
    «Gut so. Wem nicht?» Sie greift in die Brusttasche ihres weißen Mantels und holt eine kleine Taschenlampe heraus.
    «Augen auf   …»
    Vom Licht geblendet, weicht der Lemming zurück. Die Frau Doktor scheint zufrieden.
    «Blaugrau und strahlend. Wunderbar. Spüren S’ das?»
    Sie beugt sich vor, hebt unvermittelt die Hand und zwickt den Lemming knapp über dem Knie in den linken Oberschenkel. Sein Bein fährt hoch, und während es heftig gegen die Kante des Hockers schlägt, entringt sich der Kehle des Lemming ein Schmerzensschrei. Auch die Ärztin schreit auf, aber mehr vor Verblüffung. Haltlos mit den Armen rudernd, versucht sie, das Gleichgewicht zu halten; dann kippt sie nach hinten.
    «Quicklebendig, der Herr Odysseus   …», meint sie, noch auf dem Rücken liegend. «Wie ein Fisch im Wasser   …» Sie rappelt sich hoch und streicht ihren Arbeitsmantel glatt.
    «Gut. Dann schauen wir uns einmal an, was in diesem Fischkopferl vorgeht   …»
    Sie rollt den Lemming in ein dunkles Nebenzimmer und drückt auf den Lichtschalter. Neonröhren flackern auf; sie tauchen den Raum in kaltes, sirrendes Licht.
    Folter, das ist der erste Gedanke des Lemming, als sein Blick auf die riesige Apparatur fällt, die sich drohend vor ihm erhebt wie eine mittelalterliche Streckbank. Daumenschrauben und spanische Stiefel kommen ihm in den Sinn, Spangenhauben und eiserne Masken, Ketzergabeln und Stachelstühle – all jene ingeniösen Erfindungen, die der menschliche Geist für den Körper ersonnen hat, um Anstand, Sitte und Kultur zu sichern   … Das Szenario, das sich dem Lemming hier bietet, ist aber alles andere als antiquiert, im Gegenteil: Er fühltsich an Bord des
Raumschiffs Enterprise
gebeamt, und zwar genau auf die Krankenstation   …
    «Darf ich vorstellen? Unser Tomograph   … Sie können Graf Tommy zu ihm sagen   …»
    «Lustig   …», meint der Lemming. «Lustig. Graf Tommy   …» Sein Lächeln misslingt.
    «Wie auch immer   … Dann wollen wir den Braten jetzt ins Rohr schieben   …» Frau Doktor Lang verschränkt die Arme und sieht ihren Patienten fragend an. «Können S’ selber aufstehen? Oder soll ich nachhelfen?»
    Lautlos gleitet der Lemming in den Tunnel des Tomographen. Nach und nach erst nimmt er ein sonores Brummen wahr, das bald in einen dumpfen, drängenden Rhythmus übergeht. Warm ist es. Er schließt die Augen und fragt sich, ob Graf Tommy der faunischen Lotte am Schaltpult seine Gedanken verraten kann.
Wie ein Kaninchen in der Mikrowelle
, könnte sie dann auf dem Bildschirm lesen, und:
Wie der kleine Lemming im Mutterbauch   …
Und noch so manches mehr. Eine untreue Frau namens Klara würde ihr aus dem Monitor entgegenspringen, dann ein grotesker, ein grundloser Mord, Verzweiflung, Hilflosigkeit und nagende Angst. Ja, vor allem Angst   … Nicht lange, und die Polizei wird
Am Himmel
erscheinen – der Leiter der Klinik hat sie sicher schon informiert. Die Zeit ist knapp, zu knapp, und Balint, der Geiger, Balint, der Killer, Balint, die einzige Chance des Lemming, ist verschwunden   …
    «So, das hätten wir   …» Die Bahre fährt langsam aus der Röhre, der Lemming öffnet blinzelnd die Augen und richtet sich auf. Ihm abgewandt sitzt die Ärztin am Computer. Sie drückt geschäftig auf die Tasten, um dann, mit einem Mal, in der Bewegung zu erstarren.
    «Verstehe   …», murmelt sie leise und wiegt ihren Kopf hin und her, «verstehe   …»
    «Was? Was verstehen Sie?» Sein Blick fällt über ihre Schulter hinweg auf den Monitor, und er fällt zugleich ins Bodenlose: Üppig, verschlungen und formenreich wuchert ihm das Bild entgegen, das Bild seiner eigenen Schaltzentrale, seines Gehirns. Zugleich aber erkennt der Lemming etwas Seltsames, einen morphologischen Missklang, der die nahezu perfekte Symmetrie des Bildes stört: abseits der Mitte ein ovaler, weißlicher Fleck.
    «Was ist das?»
    «Was ist was?»
    «Na, das da, dieses   … Ei in meinem Kopf   … Ist das   … normal?»
    Die Ärztin bleibt die Antwort schuldig. Stattdessen greift sie zum Telefon, das neben ihr auf der Tischplatte steht.
    «Geben S’ mir den Doktor Lang   … Ja   … Hardy? Es ist wegen unserem Neuen, du weißt schon. Geh, komm schnell rüber in den CT und schau dir   … Was, nein

Weitere Kostenlose Bücher