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Lemmings Zorn

Lemmings Zorn

Titel: Lemmings Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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erste Böe jenes sprichwörtlichen Sturms, der ja bekanntermaßen auf die Ruhe folgt.
    «Du!»
    Welchen Hass, welche Abscheu zwei Buchstaben auszudrücken vermögen. So dünn die Stimme Paul Smejkals, so scharf ist sie auch. Rasierklingenscharf.
    «Du!»
    «Was soll das heißen:
du
?», blafft Frank Lehner zurück. «Was willst du damit sagen, alter Mann?»
    «Dass du   … an allem schuld bist! Und jetzt wagst du es auch noch, in dieses Haus   … Nach allem, was du angerichtet hast!»
    «Was
ich
…» Frank Lehner schnappt hörbar nach Luft. «Was
ich
angerichtet habe?»
    «Wer sonst!», schreit der Alte jetzt los. «Schau doch her! Ja, schau sie dir an, meine Frau! Sie konnte nicht mehr! Sie hat es nicht mehr ertragen! Sie hat sich das Leben genommen, das Leben, das Gott ihr geschenkt hat! Dafür wird sie   …», das Brüllen Paul Smejkals flaut plötzlich zu einem erbitterten Fauchen ab, «dafür wird sie in der Hölle schmoren. In einer Hölle, in der auch für dich schon ein Platz reserviert ist, Frank Lehner, ein Ehrenplatz, gleich neben   …» Smejkal verstummt.
    «Neben wem, alter Mann?», fragt Frank Lehner sarkastisch.
    «Neben wem darf ich sitzen? Hitler? Stalin? Oder gar Beate Uhse?»
    Ein paar knisternde Augenblicke verstreichen, ehe der Alte wieder das Wort ergreift. Trotz Lehners verächtlichen Einwurfs klingt er nun ruhiger, beherrschter. Das leichte Vibrieren, das drohende Tremolo in seiner Stimme ist mehr zu erspüren als zu hören.
    «Wir werden da alle zusammen sein. Du, meine Frau, meine Tochter und ich. Wir werden an Benjamin denken, unseren kleinen ungetauften Benjamin, der bis zum Jüngsten Tag im Fegefeuer leiden muss. Dann werden wir uns fragen, ohne Ende fragen, wie es dazu kommen konnte. Welcher Teufel uns verdorben, unsere Seelen verseucht und zerstört hat. Ichkenn ihn schon jetzt, diesen Teufel, diese Schlange in Menschengestalt. Ich kenne dich, Frank Lehner. Du hast uns alle auf dem Gewissen.»
    «Ach   … Weil ich Ben nicht mit Weihwasser angespritzt habe?»
    «Weil du Angela nicht nur von Gott abgebracht, sondern auch gleich ihren Eltern entfremdet hast. Weil du sie in diese   … furchtbare Wohnung, in dieses Horrorhaus gesteckt hast. Und das ohne Geld, ohne Rückhalt, ohne gesicherte Arbeit. Weil du ein Spieler bist, Frank Lehner, ein gemeiner, skrupelloser Hasardeur, und weil es meine Tochter war, die deinen Einsatz zahlen musste. Du hast sie geschwängert und dann mit dem Buben im Stich gelassen, nur um deine   … deine eitle Rachsucht zu befriedigen. Du hast sie in den Wahnsinn getrieben, du hast meine einzige Tochter in den Wahnsinn getrieben, und dafür, Frank Lehner, verfluche ich dich.»
    Was das Amen dem Gebet, das ist diabolischen Flüchen die Pause: ein dramaturgischer Abschluss, der dem Gesagten die rechte Bedeutung verleiht. Die Pause, die nun eben auch Paul Smejkal seiner Rede folgen lässt, bietet dem Lemming Gelegenheit, seine Gedanken zu ordnen. Vor allem beschäftigt ihn seine eigene, ziemlich befremdliche Lage: Halb sitzend, halb liegend im Spalt zwischen Boden und Bett, der wütenden Predigt Paul Smejkals lauschend, schräg über sich die Leiche der alten vergifteten Frau. Warum, so überlegt der Lemming, stehe ich nicht einfach auf? Was hindert mich denn noch daran, mich Smejkal zu zeigen, nun, da doch klar ist, dass sich sein geballter Hass auf Lehner konzentriert? Ein solches Übermaß an Hass, dass davon schwerlich etwas für mich abfallen wird: für einen unbedeutenden Einbrecher, der nichts als einen Hinweis sucht   …
    Und trotzdem hält den Lemming etwas davon ab, sein Versteck zu verlassen, auch wenn es nicht mehr als ein vages Gefühl, eine unbestimmte Ahnung ist. Es wäre ein Fehler, sodenkt er, die Konfrontation zwischen Smejkal und Lehner jetzt schon zu stören. Schließlich führen chemische Prozesse manchmal zu staunenswerten Resultaten. Je mehr es da brodelt und stinkt, desto größer die Chance auf unerwartete Verbindungen und neue, hilfreiche Substanzen. Auf Lösungsmittel zum Beispiel.
    «Sie war nicht wahnsinnig», durchbricht Frank Lehner nun das Schweigen. «Angela war von uns allen die   … Vernünftigste.»
    Paul Smejkal lacht auf, bitter und höhnisch. «Nicht wahnsinnig ? Nicht wahnsinnig? Wie nennst du das, wenn eine Frau –
mit
ihrem Baby! – auf der Straße lungert, monate und jahrelang, bei Wind und Wetter? Wie eine Sandlerin, eine Zigeunerin? Wenn sie jede Hilfe ausschlägt und ihr Kind stattdessen einem   …

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