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Lemmings Zorn

Lemmings Zorn

Titel: Lemmings Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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Hangar, Herr Lehner! Vielleicht eine aufgelassene Halle am Flughafen draußen   …»
    «Hangar?» Frank Lehner bedenkt den Lemming mit spöttischen Blicken. «Das ist der Name der Ratte, Herr Wallisch: Hannes Gartner.»
    Also doch eine Qualle. Kaum ins Bewusstsein gedrungen, zerplatzt sie und setzt ihren giftigen Inhalt frei: Adrenalin. Unmengen von Adrenalin, die sich jäh in den Körper des Lemming ergießen, ihn durchsprudeln, durchbranden, ihm bis in die Finger- und Zehenspitzen rieseln.
    «Das   … Das gibt es nicht! Der Gartner ist   … mein Hausherr!»
    Leise pfeift Frank Lehner durch die Zähne, wiegt dann bedächtig den Kopf hin und her. Ein mildes Schmunzeln umspielt seine Mundwinkel. «Beileid», sagt er nur.
    «Aber der Gartner ist doch nach Thailand gefahren! Wir haben noch davon gesprochen, meine Frau und ich, dass er vielleicht   … Dass ihn ja vielleicht der Tsunami   …» Der Lemming verstummt.
    «Domiphu»,
murmelt Lehner. Sein Schmunzeln ist jetzt zum sardonischen Grinsen erstarrt: ein Grinsen, das so sehr ein Lächeln ist wie eine Hornisse ein Schmetterling. «
Domiphu
, Herr Wallisch: Donnerstagmittag Abflug nach Phuket. Nur folgt eben
Domi
leider auf
Mimi
. Was vermutlich bedeutet   …»
    «Was vermutlich bedeutet   …»
    «Was vermutlich bedeutet, dass Angela der Ratte auch noch das Leben gerettet hat   …»
    Dieses Schweigen. Dieses zähe, dunkle Schweigen, das die beiden nun umhüllt.
    Auf Zehenspitzen nähert sich der Kellner, um zwei frisch gefüllte Gläser an den Tisch zu bringen.

25
    Koalitionen sind die Notnägel unter den Bündnissen. Nägel, die sich umso tiefer ins Fleisch der Beteiligten bohren, je länger diese – wie es so schön heißt – einen Teil ihres Weges gemeinsam gehen. Gegenspieler ketten sich ja in der Regel nur mit einer Absicht aneinander, nämlich um dem anderen in ebendiesem Weg zu stehen. Am Ende folgt immer der Schrecken: der mehr oder minder gehässige Kampf um eine Beute, die sich nun einmal nicht teilen lässt.
    Den Kampf um die Beute haben auch der Lemming und Frank Lehner aufgeschoben. Der Lemming, weil er weiß, dass Lehner sich in jedem Fall an seine Fersen heften wird, Frank Lehner wieder, weil er nach wie vor die Schlüssel an sich bringen will. Also: Koalition. Zumindest so lange, bis sie die Adresse von Angelas Strafraum gefunden haben. Danach – und das ist beiden wohl bewusst – werden die Fesseln gesprengt, die Fronten gezogen, die Messer gezückt   …
    Mit hochgeschlagenen Krägen stapfen sie Schulter an Schulter die Sandrockgasse entlang, umhüllt von einer Wolke aus Unbehagen. Ein Unbehagen jedoch, dessen Gleichklang schon wieder so etwas wie Eintracht erzeugt, ist es doch weniger gegeneinander gerichtet als vielmehr gegen das Schicksal, gegen den Lauf der Dinge an sich. So wie ja auch politisch Alliierte in erster Linie jenem Trottel zürnen, der sie zusammengespannt hat: dem Wähler.
    Immer noch herrscht Eiseskälte; die Reste des Schnees auf dem Gehsteig haben sich in knackenden Krokant verwandelt. Ein leises Rauschen liegt in der Luft: nicht das Rauschen der nahe gelegenen Donau, sondern das Brausen der Automobile, die sich – wie zu jeder abendlichen Dämmerstunde – auf der Uferautobahn zusammenrotten, um Stoßzeit zu feiern.
    «Wir müssen uns nicht so beeilen», brummt jetzt der Lemming und deutet zum Himmel. «Bei Tageslicht brechen nur knallharte Profis ein.»
    «Sehr lustig, Herr Wallisch.» Frank Lehner bleibt stehen und steckt sich eine Zigarette an. Dann zeigt er nach vorne, wo – kaum fünfzig Meter weiter – das unbeleuchtete Haus der Smejkals steht. «Die Alten dürften ohnehin nicht daheim sein. Oder sie sitzen im Finstern.»
    «Trotzdem. Ich will lieber warten. Geh, geben S’ mir auch eine   …»
    Zwei weitere Zigaretten, und es ist so weit: Die Nacht hat sich über die Stadt gesenkt, bleiern und unbestirnt, wie eine Decke, die den Bedeckten nicht wärmt, nur erstickt. Die Männer gehen los. Sie öffnen vorsichtig das Gartentor, drücken sich dann an der Hauswand entlang: vorne Frank Lehner, drei Schritte dahinter der Lemming. In seinen klammen Fingern hält er eine der zwei Taschenlampen, die sie vorhin auf dem Brunnenmarkt erstanden haben. Lampen, die sie – wie sich nun zeigt – überhaupt nicht benötigen   …
    Wie vor drei Tagen fällt Licht in den hinteren Teil des Gartens. Trautes, behagliches Licht. Lehner hält inne, dreht sich zum Lemming um und hebt fragend die Hände: eine stumme,

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