Lemmings Zorn
hervor. «Das da ist nämlich vor ein paar Wochen an Ihrer Tür gesteckt. Undbevor’s wer anderer nimmt, irgendwer, den das nix angeht … Wo Sie doch gar so selten da sind.»
Wortlos greift der Lemming nach dem Umschlag. «Und warum ist der schon offen?»
«Weil … Ein Irrtum halt. Ich hab geglaubt, er ist für mich.» Frau Homolka zuckt die Schultern und entblößt ihr bräunliches Gebiss zu einem listigen Lächeln. Dann macht sie kehrt und wuchtet ihre hundert Kilo Dummheit wieder die Treppen hinab.
Wien, am 28.11
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2004
Betrifft: Aufkündigung Mietvertrag
Sehr geehrter Herr Wallisch!
Wie ich in den vergangenen Monaten feststellen musste und mir entsprechend von anderen Hausbewohnern bestätigt wurde, dient die von Ihnen angemietete Wohnung schon seit längerem nicht mehr dem Zweck der regelmäßigen Verwendung als Wohnobjekt. Da laut § 30 des Mietrechtsgesetzes eine regelmäßige Verwendung zur Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses des Mieters gegeben sein muss, andernfalls eine Kündigung des Mietvertrags von Seiten des Vermieters rechtens ist, sehe ich mich dazu gezwungen, Ihren Mietvertrag unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist von einem Monat (§ 560 ZPO) aufzulösen. Um ein für beide Seiten unliebsames Beschreiten des Rechtsweges zu vermeiden, ersuche ich Sie daher um Räumung und ordnungsgemäße Übergabe obgenannter Wohnung bis längstens 31. 12. 2004
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Da ich selbst bis Mitte Januar verreist sein werde, darf ich Sie höflichst bitten, Ihre Wohnungs- und Haustorschlüssel (!) nach vorheriger Terminvereinbarung der Hausverwaltung auszufolgen.
Ich bedanke mich für ihr geschätztes Verständnis, sehe Ihrer ehesten Veranlassung mit Interesse entgegen und verbleibe mit freundlichen Grüßen
Hannes Gartner
«Arschsau», sagt der Lemming beinahe tonlos. «Dreckige Arschsau.» Langsam zerreißt er das Schreiben, lässt die Papierfetzen dann auf den Küchentisch gleiten.
«Kennst du den Typen eigentlich?», fragt Klara.
«Nein. Ich bin ihm nie begegnet. Ein Brief von der Hausverwaltung, vor drei Jahren, das war alles: Verkauf der Liegenschaft Servitengasse und so weiter. Bestehende Verträge gehen unverändert auf den neuen Eigentümer über. Bla, bla, bla. Ich hab auf der Bank meinen Abbuchungsauftrag geändert und fertig.»
«Wie sollen wir das schaffen, Poldi? Die Baustelle in Ottakring, die Sache mit Angela, das Kind, mein Job, und jetzt noch die Wohnung räumen? In den paar Tagen, die uns noch bleiben?»
«Gar nichts schaffen wir! Gar nichts!» Der Lemming springt auf und wischt die Papierschnipsel vom Tisch. «Gar nichts! Dann soll mich die Sau doch verklagen! Vielleicht geht ja der Einbruch wirklich auf sein Konto! Eine kleine Ermahnung! Man weiß doch, wie die feinen Herren in der Immobilienbranche zu arbeiten pflegen!»
«Wir sollten – so oder so – die Polizei rufen.»
«Natürlich! ‹Ist jemand zu Schaden gekommen?› – ‹Nein.› – ‹Was hat man gestohlen?› – ‹Nichts.› Am besten holen wir gleich den Polivka, der wird sich einen Haxen ausreißen wegen einem fehlenden Türschloss!»
«Erstens, Poldi», meint Klara leise, «red bitte nicht so mit mir. Weder hab ich hier eingebrochen noch dir eine Kündigung geschickt. Zweitens braucht man eine Anzeige, damit die Versicherung ein neues Schloss zahlt.»
«Weißt du, wer das Schloss zahlen wird?» Der Lemming stemmt die Fäuste auf den Tisch, seine Augen funkeln fiebrig. «Der liebe Hausherr wird das Schloss zahlen, damit er die Wohnung im Jänner ums Doppelte weitervermieten kann. Wir werden hier nämlich ab kommender Woche ein Schloss so nötig haben, wie … wie einer ohne Hosen einen Knopf braucht!»
«Ach … Und ich dachte immer, wer eh schon ein Schloss hat, braucht keine Wohnung mehr.»
Verblüfft starrt der Lemming sie an: Ihr kleines Wortspiel hat ihn vollkommen aus dem Konzept gebracht. Schon steht seine Wut an der Kippe, schon droht sich der Hahn, aus dem kochend das Adrenalin schießt, zu schließen.
«Schau, Poldi, es ist doch alles halb so schlimm. Morgen schau ich hinaus nach Ottakring; wahrscheinlich ist schon alles repariert. Dann brauchen wir weder Schloss noch Wohnung, weil wir wieder ein geheiztes Haus haben. Die Frage ist nur, wie wir so lange die Tür hier sichern.»
Weitere Worte, die ihm den Wind aus den Segeln nehmen: ruhige, logische, vor allem aber zuversichtliche Worte. Nur noch spärlich sickert das Adrenalin aus den schon
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