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Lemmings Zorn

Lemmings Zorn

Titel: Lemmings Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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Kanonenofen, der wohlige Wärme verströmt. Trotzdem ist da etwas, das den Lemming irritiert: Die Räume wirken gleichzeitig bewohnt und unbewohnt, beinahe wie vor – oder nach – einem Umzug. Keine Kerzenleuchter oder Nippes zieren die schlichten, gediegenen Möbel, selbst in zwei schlanken Vitrinen gegenüber dem Eingang herrscht Leere. An den Wänden zeichnen sich helle Umrisse ab – wie von erst kürzlich entfernten Gemälden.
    «Nehmen S’ nur Platz.» Farnleithner deutet auf ein breites Ledersofa, vor dem – auf einem Couchtisch – zwei Kristallgläserund eine schon entkorkte Flasche Wein stehen. «Sie trinken doch einen mit mir?»
    Der Lemming nickt und sieht Farnleithner beim Einschenken zu. Nur keine Taschenspielertricks, denkt er im Stillen, nur keine beiläufig in mein Glas gestreuten Giftpillen oder Schlaftabletten   …
    «Prost. Auf Ihr Wohl.»
    «Gesundheit.»
    Erst nachdem Farnleithner einen Schluck genommen hat, trinkt auch der Lemming. Gut, sogar sehr gut, der Wein.
    «Und Ihr Kind? Das haben Sie heut Abend daheim gelassen?»
    «Ja, ja. Bei meiner   … Also bei seiner Mutter.»
    «Meine Frau hat mir davon erzählt. Ich wusste gar nicht, dass die Frau Mally ein Kind hat. Das macht die ganze Angelegenheit ja noch verständlicher.»
    «Natürlich», erwidert der Lemming, um sein Unverständnis zu kaschieren.
Ja
,
aha
und
natürlich
: Mit diesem beschränkten Vokabular kann man wahrscheinlich am wenigsten falsch machen.
    «Hören Sie, Herr Mally», Farnleithner stellt sein Glas ab und legt eindringlich die Hände ineinander, «Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Wirklich nicht. Ich bin Ihnen nicht böse.»
    «Aha.»
    Nein, nicht im Geringsten, glauben Sie mir. Ich habe Ihnen mehr zu verdanken, als Sie ahnen.» Farnleithner macht eine Pause. Ein verschmitztes Grinsen zieht jetzt über sein markantes Gesicht. «Heißen Sie eigentlich Alfred, Alfons oder wirklich nur Alf?», fragt er, um gleich darauf abzuwinken: Nein, so ein Blödsinn. Dann hätten Sie doch nicht   … Es geht mich ja im Grunde auch nichts an. Also, Herr Mally, was kann ich für Sie tun? Was wollten Sie heute am Vormittag ?»
    «Mich erkundigen   …»
    «Das ist wirklich   …», Farnleithner seufzt leise und schüttelt gerührt den Kopf, «wirklich lieb von Ihnen. Das hätten Sie nicht tun müssen, nach allem, was ich   … Aber wissen Sie, es geht mir gut. Es geht mir besser denn je.» Er greift nach seinem Glas, betrachtet es versonnen. Setzt es dann kurzerhand an die Lippen und leert es.
    Der Lemming tut es ihm gleich. «Sind Sie gerade dabei, hier auszuziehen?», fragt er mit einer Geste zu den leeren Vitrinen hin, während sein Gastgeber wieder die Gläser füllt.
    «Aber nicht doch, im Gegenteil», lacht dieser auf. «Ich bin gerade dabei, dieses Haus in Besitz zu nehmen, und das, obwohl es schon seit fast neun Jahren mir gehört. Anders gesagt: Meine Frau zieht aus. Ja, sie hat ihre Koffer gepackt. Wir lassen uns kommenden Donnerstag scheiden.»
    «Das tut mir leid.»
    «Leid?» Harald Farnleithner lehnt sich zurück. Er sitzt jetzt da wie das leibhaftige Glück, strahlend und rund und zufrieden. «Leid? Wissen Sie eigentlich, was meine Frau für eine – Sie verzeihen den Ausdruck   –, für eine Schastrommel ist? Modisch sein, in sein, um jeden Preis dazugehören, das war schon immer ihr einziges Ziel. Prahlerei und Renommee, wichtige Leute kennen, jedem Trend – um jeden Preis – entsprechen. Eigentlich war ja auch sie für das ganze Schlamassel verantwortlich. Und ich, ich hab mich von ihr überreden lassen. Nicht, dass ich mich jetzt an ihr abputzen will, nur   … Es war einfach so.» Farnleithner schüttelt nachdenklich den Kopf. «Sie wissen ja, welche Leute in meinem Lokal verkehrt haben. Die wichtigen eben. Künstler, Industrielle, Journalisten, aber vor allem Politiker. Dazwischen meine Frau, in ihrem Element. Herumwuseln, schnattern, ein Küsschen hier, ein Pröstchen da, die selbstgekrönte Grande Dame des Etablissements. Ich will Sie nicht langweilen, Herr Mally, ich will Ihnen nur erzählen, was Sie wahrscheinlich noch nicht wissen.»
    «Natürlich», beeilt sich der Lemming zu erwidern. «Ich bin ja nicht   … mit allem vertraut.»
    «Eines Tages», fährt Farnleithner fort, «es muss vor etwa zwei Jahren gewesen sein, da kommt gleich eine ganze Horde dieser hohen Tiere bei der Tür herein. Ich nenne keine Namen, ich nenne auch keine Partei, aber wie gesagt: ganz hohe Tiere, fast so

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