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Lemmings Zorn

Lemmings Zorn

Titel: Lemmings Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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Stelle, an der Benjamin zwei Tage vorher Klaus Jandulas Fotos angeknabbert hat. Zwei gleißende Blitze, ein markerschütternder Knall, gefolgt von jener unheimlichen Stille, die nur eine Stille des Raums ist, keine des Herzens.
    Und in diese Stille, in diese Leere hinein öffnen sich endlich die Schleusen: Das Vakuum, das der Zorn hinterlassen hat, füllt sich mit Schmerz. Mit gewaltigem Schmerz. Der Lemming schluchzt auf, seine Augen quellen über, ertrinken im salzigen Meer seiner Tränen. Er findet sich auf dem Boden wieder, das Gesicht in den Händen vergraben; daneben Klaus Jandula, der ihm den Arm um die Schultern gelegt hat und ihm den zuckenden Kopf hält. So kauern sie da, beide geschüttelt, beide gerührt.
    Eine Ewigkeit scheint zu vergehen, ehe der Weinkrampf verebbt, der Lemming allmählich entspannt. Behutsam löst er sich aus Jandulas Umarmung, um zu Herbert Prantzl hochzusehen, der nach wie vor geknebelt auf dem Polstersesselthront. Aber sein Blick wird nicht erwidert: Prantzl ist offensichtlich aufs Neue in Ohnmacht gefallen. Aus seiner gebrochenen Nase dringen leise Schnarchgeräusche.
    «Keine Sorge, Herr Wallisch, ich kümmere mich schon um ihn», sagt Klaus Jandula jetzt. «Er hat mir immerhin was zu verdanken. Sagen S’   … Haben Sie den Scheißköter wirklich vergiftet?»
    «Ich weiß es nicht», gibt der Lemming mit heiserer Stimme zurück. «Und ich hoffe es auch nicht. Jedenfalls herrscht   … bedenkliche Ruhe da oben.»
    «Oh, ja.» Klaus Jandula hebt seinen schlenkernden Kopf und betrachtet zufrieden die Zimmerdecke. «Traumhafte, himmlische Ruhe   …»

22
    Wie lange mag es her sein, dass die Sonne die bleigrauen Wolken durchbrochen hat? Wochen? Vielleicht sogar Monate? Heute jedenfalls, an diesem klirrend kalten Dienstagmorgen, steigt sie so selbstverständlich über den östlichen Horizont, als hätte sie ihr Lebtag nichts anderes getan. Wie eine jahrelang verschollene Tochter, die eines Tages durch die Tür hereinspaziert, grußlos am Frühstückstisch Platz nimmt und sich mit unschuldiger Miene ein Glas Milch einschenkt.
    Stille im Garten und ein Ozean aus Diamantenstaub: Die Schneedecke funkelt, blendet das Auge mit Tausenden Nadelstichen. Wenigstens, so denkt der Lemming, verhüllt sie mit ihrem Glanz die frostharte Erde: ein Wundverband, der zwar nichts mehr zu heilen vermag, aber vielleicht ja zu lindern.
    Der Kampf mit dem gefrorenen Boden hat ihm gutgetan. Er lehnt den Spaten an den Stamm des Nussbaums und betrachtet die frisch ausgehobene Grube. Sie dürfte groß genug sein, jedenfalls nach dem Umfang des Schneehügels zuschließen, unter dem Castro liegt. Groß genug für einen toten Hund.
    Ja, nur für
einen

     
    Nach einer kurzen und unruhigen Nacht hat er in aller Früh Klaus Jandula angerufen, um sich nach dem Stand der Dinge zu erkundigen. Und der hörbar verschlafene Jandula hat sein Bestes getan, um ihn zu beruhigen: Nein, der Pitbull sei nicht gestorben; er habe nur etwa die Hälfte der Ente verzehrt und sei zwar besinnungslos, aber lebendig in Prantzls Vorraum gelegen. Prantzl selbst sei kleinlaut, ja regelrecht unterwürfig gewesen, nachdem er aus seiner Ohnmacht erwacht sei. Obwohl das bei Leuten seines Schlags natürlich nicht viel bedeute: Ein sauberer Hintern und geputzte Hosen, und sein Nachbar würde im Handumdrehen wieder der Alte sein, daran bestünde kein Zweifel. Wie auch immer, Prantzl habe sich dazu bereit erklärt, die Polizei aus dem Spiel und die Sache auf sich beruhen zu lassen, allerdings unter gewissen Bedingungen.
    «Welche?», hat der Lemming gefragt.
    Da hat Jandula gekichert. «Erstens, Herr Wallisch, müssen Sie sich dazu verpflichten, nie wieder ein Wort über ihn in der
Reinen
zu schreiben, und schon gar nicht über seinen Köter. Dafür hat er auch versprochen, Ihnen nicht mehr hinterherzuschnüffeln. Wobei er das, unter uns gesagt, ohnehin nicht mehr täte: Sie haben ihm gestern gehörig Respekt eingeflößt.»
    «Das ist ein faires Angebot; ich wollte meinen Job als Reporter sowieso an den Nagel hängen. Und zweitens?»
    «Zweitens muss Ihnen kein Kopfweh bereiten; darauf lade ich Sie ein, und zwar mit dem größten Vergnügen: die Kosten für ein neues Türschloss nämlich. Wir waren ja dazu gezwungen, seine Wohnung aufzubrechen; ich hätte ihn ungern bei mir einquartiert.»
    «Und seine gebrochene Nase?», hat der Lemming schließlich gefragt.
    «Sie werden lachen: Er ist stolz darauf. Was dem einen ein großdeutscher Schmiss

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