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Lemmings Zorn

Lemmings Zorn

Titel: Lemmings Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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der böse Onkel hat dein stinkertesHunderl abserviert, Berti. Hörst du, wie still es ist bei dir da oben? Wahrscheinlich ist es dem Mambo zu blöd geworden, dir immer hinterherzuhampeln, wahrscheinlich hat er schon das vergiftete Enterl gefressen, das ihm der Onkel geschenkt hat. Und jetzt ist er kaltgestellt: ziemlich kalt oder auch sehr kalt, je nach Appetit. Weil das tun wir ja so gerne, nicht wahr, Berti, Hunde kaltstellen! Wenn nicht gar wehrlose Babys!»
    Erstmals seit Beginn der Vorstellung meldet sich das Publikum zu Wort. «Das versteh ich jetzt nicht», raunt Klaus Jandula dem Lemming zu.
    «Maul halten», erwidert der Zorn, und Jandula verstummt. Vom säuerlichen Schweißgeruch Prantzls angeekelt, tritt der Lemming zwei Schritte zurück. Langsam lässt er eine Hand in seine Hosentasche gleiten. «Der Onkel hat aber nicht nur dem Hunderl etwas Schönes mitgebracht, sondern auch dem Herrli. Damit das Herrli nicht traurig ist. Schau her, das magst du doch so gerne!» Der Lemming zieht die beiden Böller aus der Tasche, hält sie Prantzl auf der flachen Hand entgegen. «Da freut sich der Bertibub, oder? Das ist ja so lustig, wenn’s knallt und wirbelt und paukt; was Schöneres gibt es ja nicht, als die ganze Welt mit Gepolter und Krach zu verwöhnen. Und weil du heute der Ehrengast bist, wird dir der Onkel ein kleines Konzerterl geben. In Stereo.» Ohne den Blick von Prantzl zu lösen, wendet sich der Lemming jetzt an Jandula. Er streckt die zweite Hand aus, klappt sie fordernd auf und zu. «Feuer.»
    «Wo?», fragt Jandula erschrocken. Die Inszenierung scheint ihn zusehends zu überfordern.
    «Ob Sie Feuer haben!»
    Jandula erhebt sich, wackelt eilig in die Küche, kehrt mit einem Päckchen Zündhölzer zurück.
    Inzwischen hat der Zorn die beiden Knallkörper platziert. Er hat sie tief in Prantzls Ohrmuscheln gerammt; sie ragen ihmnun zu beiden Seiten aus dem Kopf wie die Zipfel einer Narrenkappe.
    Überhaupt bietet Prantzl nun einen reichlich amüsanten Anblick; er gemahnt an einen glänzend braunen, erigierten Penis, aus dessen feuchter, halb entblößter Eichel zwei kreisrunde Augen stieren. Die Böller scheinen unter der Vorhaut zu stecken ; ihr Rot entspricht dem Rot der mächtigen Boxhandschuhe, die an der Basis dieses clownesken Gemächts baumeln wie pralle, geschwollene Hoden. Nur Prantzls Geruch ist weniger erbaulich, mischt sich doch jetzt in den beißenden Transpirationsgestank eine andere, noch penetrantere Note: Er hat sich angekackt, der Herr Briefträger, er hat sich in seine schönen, schillernden Hosen gemacht.
    «Finden Sie nicht, Herr Wallisch», meldet sich jetzt wieder leise Klaus Jandula zu Wort, «dass es genug ist?»
    «Nein. Bei weitem nicht genug.»
    Der Lemming entzündet ein Streichholz und nähert die Flamme der Lunte des rechten Böllers.
    «Mein Gott, Herr Wallisch! Sie werden doch nicht wirklich Ernst machen!» Jandula weicht zurück, Schritt für Schritt, bis er mit dem Rücken an der Wand zu stehen kommt. «Ihnen hat er doch gar nichts so Schlimmes getan, der Prantzl!»
    «Ach, hat er nicht?»
    Ein Zischen: Die Zündschnur fängt Feuer, sprüht Funken.
    «Und dass er versucht hat, mein Kind in die Luft zu sprengen?»
    Schon brennt auch die linke Lunte; ein fröhliches, zweifaches Knistern: Gerade noch Penis, ist Prantzl nun unversehens zum Weihnachtsbaum mutiert.
    «Und dass er heut Abend den Hund meiner Frau getötet hat? Meinen   … treuesten Freund? Das ist nichts so Schlimmes ?»
    «Was bitte heißt heut Abend?», schreit Jandula entnervt. «Das Arschloch ist doch seit Mittag daheim und macht mirdas Leben zur Hölle! Die ganze Zeit hat er auf seinen Boxsack eingedroschen!»
    «Wie jetzt? Seit   … wann, sagen Sie?»
    «Seit heute Mittag! Exakt dreizehn Uhr!»
    Die Zündschnüre sind fast schon abgebrannt; aus Prantzls schreckgeweiteten Poren rinnen Bäche von Schweiß. Der Lemming fühlt sich in dieser Sekunde wie ein Ballon, dem jählings die Luft ausgeht. Sein Zorn entweicht, als wäre er nie da gewesen; zurück bleibt nur Leere, plötzliche, nagende Leere im Bauch, in den Gliedern, im Kopf. Mit einer trägen, beinahe apathischen Geste hebt er die Arme und zieht die beiden Kracher aus Prantzls Ohren.
    «Weg damit!», brüllt Jandula. «Weg damit!» Er gibt sich einen Ruck, springt auf den Lemming zu. Schlägt ihm mit all seiner Kraft die Böller aus den Fingern. Sie detonieren synchron; der eine unter dem Fauteuil, der andere in der Zimmerecke – exakt an jener

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