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Lena Christ - die Glueckssucherin

Lena Christ - die Glueckssucherin

Titel: Lena Christ - die Glueckssucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunna Wendt
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schalt sie undankbar.
    Von diesem Zeitpunkt an bewegte sich Lena in zwei verschiedenen Welten und spielte zwei ganz unterschiedliche Rollen: Als Pilgermädchen lebte sie zurückgezogen und lehnte alles Laute und Derbe ab. Doch sie konnte es nicht ganz von sich fernhalten, denn sie musste weiterhin in der Gastwirtschaft als Wirtsleni arbeiten. Es machte ihr wenig aus, das Geschirr zu spülen oder beim Kochen zu helfen, als viel unangenehmer empfand sie das Bedienen in der Gaststube. Sie war mittlerweile fünfzehn Jahre alt, groß und hübsch, und die Männer warfen ein Auge auf sie. Wie sie sich dazu verhalten sollte, wusste sie nicht. Wenn sie ernst und zurückhaltend war, warf ihr die Mutter vor, sie vertreibe mit ihrer Unfreundlichkeit die Gäste. War sie jedoch heiter und lebhaft, fühlten sich einige Männer ermutigt, sie zu belästigen – nicht nur verbal, sondern auch handgreiflich. Wenn sie gar zu »aufdringliche Zärtlichkeiten« verlangten, flüchtete sie zu ihrer Mutter, doch diese stand ihr nicht bei, sondern machte sich über sie lustig. In ihrem Alter müsse sie doch wissen, was zu tun sei: freundlich weggehen und sagen, sie habe keine Zeit. Lena versuchte, sich danach zu richten, jedoch ohne Erfolg. Die Männer ließen sich nicht in die Schranken weisen, und so kam die Arbeit in der Gaststube einem Spießrutenlauf gleich. Am schlimmsten war es für sie, dass sie ihre Sorgen mit niemandem teilen konnte. Zwar werden in den Erinnerungen ab und zu Freundinnen erwähnt, aber immer nur im Rahmen einer einzigen Episode und niemals mit Namen. Sogar das Mädchen, das als »liebste Freundin« bezeichnet wird, bleibt anonym und taucht nie wieder auf.
    Alles änderte sich, als ein neuer Geistlicher in die Pfarrei kam. Er war noch sehr jung, es war seine erste Stelle. Lena fasste sofort Vertrauen zu ihm und klagte ihm ihr Leid. Zu ihrer Verwunderung fragte er kaum nach, sondern sprach ihr ruhig zu und erteilte ihr Ratschläge. Die Gespräche mit ihm taten ihr gut und entlasteten sie. Sie besuchte ihn immer häufiger. Endlich hatte sie einen Menschen gefunden, der ihr zuhörte und sie verstand. Als er in eine andere Pfarrei versetzt wurde, sorgte er dafür, dass sie dort erste Sopranistin wurde. Auf diese Anerkennung war sie stolz. Doch da war noch mehr: Sie fühlte sich zu ihm hingezogen und spürte, dass er ihre Gefühle teilte: »Wie oft stand ich zitternd vor ihm und sah ihn mit den verliebtesten Augen an oder küsste stürmisch seine Hand.« Er erwiderte ihren Blick, streichelte ihre Wange und sagte: »Ja, ja, Kind, du bist halt mei Singvogel!« Wenn sie dann zusammen auf dem Sofa saßen und Kaffee tranken, hatte sie nur einen einzigen Gedanken: »Wann i dich nur bloß ein einzigs Mal so viel lieb haben dürft!«
    Lena Christ schildert in ihren Erinnerungen eine zarte Liebesgeschichte voller Poesie, von denen es nur wenige in ihrem Werk gibt. Sie ist vergleichbar mit der Beziehung des zwölfjährigen Mathias zu der fünfzehnjährigen Jungfer Kathrein in Mathias Bichler : Der Junge hatte eine »innige und feste Zuneigung« zu ihr gefasst und beschlossen, »sie einmal zu ehelichen. Das sagte ich ihr auch ganz frei, und sie lachte dazu und ließ mich gewähren, wenn ich sie stürmisch umschlang, ihr die roten Haare zauste oder sonst zärtliche Späße mit ihr trieb. Da hieß sie mich ihren närrischen Buben oder ein Nachtei, ein dummes, und, wenn ich es etwan gar zu unsinnig trieb, ihren tolpatscheten Ritter. Dazu gab sie mir einen zärtlichen Backenstreich und zuweilen wohl auch einen Kuss.« Die Rollen sind ähnlich verteilt: Einer der beiden Liebenden äußert seine Gefühle direkt und ungeschützt, der andere versucht, eine gewisse Distanz aufrechtzuerhalten, obwohl er nicht weniger emotional engagiert ist.
    Immer wenn der junge Pfarrer, dessen Name an keiner Stelle genannt wird, den Gefühlsüberschwang des jungen Mädchens spürte, löste er die emotional aufgeladene Stimmung mit banalen Fragen auf, bot ihr Kaffee und Heiligenbilder an. Als Gegenleistung wünschte er sich nicht das von ihr ebenso herbeigesehnte wie gefürchtete »Bussl«, sondern ein Lied, allerdings kein heiliges, wie er es sonst immer zu hören bekam. Sie sang das Lied von dem »Dirndl« und dem »Jagersbua« und wurde von ihm gelobt: Schön sei es, »aber recht arg verliabt«.
    »Drum lass mi dir in d’Äuglein schaun
    no muss i glückli’ wer’n
    Do hätt i an Himmel auf dera Welt
    mit seinem schönsten Stern.«
    Vor den Betschwestern

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