Lena Christ - die Glueckssucherin
sind hier rauer und herber, und das ihre machte darin keine Ausnahme, im Gegenteil. Rauheit aber schämt sich der Träne und verwandelt den Schmerz in einen Scherz. Und so gewann auch sie aus Leid und Schwermut die männliche Kraft, unter Tränen zu lächeln.«
Auf ihren autobiografischen Roman war ein Entwicklungsroman gefolgt, auf die Lausdirndlgeschichten Kriegserzählungen, ein Genre, das bis dato Männern vorbehalten gewesen war. Gerade damit war sie besonders erfolgreich. Denn sie weitete den Blickwinkel, verschob ihn: von der Front und den Soldaten zu deren Heimatorten und den Menschen, die dort geblieben waren, also zu den Frauen, Kindern und alten Leuten.
Die Literaturwissenschaftlerin Ghemela Adler lobt in ihrem Buch Heimatsuche und Identität. Das Werk der bairischen Schriftstellerin Lena Christ die konkrete Darstellungsweise – im Gegensatz zu Ludwig Thomas »Kriegspathos«. Dafür liefert sie ein schlagendes Beispiel: »Für Thoma ist der Aufruf zur Mobilmachung ›ein Ton, als wie aus Erz gedrungen‹, Lena Christ dagegen gibt die nüchternen Meldungen von Telegrammtafeln und Tageszeitungen wieder.« Zur Entstehung erklärt Jerusalem: »Die in den drei kleinen Bänden enthaltenen Schilderungen der Frontkämpfe waren auf Erzählungen von Verwundeten aufgebaut, die wir zum Kaffee geladen hatten, wo sie dann von ihren Erlebnissen im Felde berichteten.«
Nur wenn es um die Feinde ging, benutzte Lena Christ die üblichen Klischees. Die bayerischen »Riesen« würden mit den russischen »Ungeheuern« und französischen »Rammeln« schon fertigwerden:
»Den Serben, Russen und Franzosen
verhaun mir’s Sitzfleisch in der Hosen;
Bomben kriagn s’ statt Leberknödl
Und als Kompott unsern Gwehrkolbn an Schädl.«
29 Pilarstraße 2, München-Nymphenburg
Doch Lena Christ wusste, dass der Alltag der Soldaten alles andere als heiter war. Ihre Verbundenheit wollte sie ihnen demonstrieren. Eine ihrer hervorstechenden Eigenschaften war Großzügigkeit; selbst wenn sie kein Geld hatte, war sie freigiebig. »Dem Bedürftigen hat sie nie die Tür gewiesen und gern mit andern geteilt oder sich für sie verwendet, wo es ihr möglich war«, beteuert Jerusalem und erzählt, wie im September 1914 eine Kompanie Soldaten laut singend an ihrem Haus am Nymphenburger Kanal vorbei in Richtung freies Feld marschierte. Lena wollte ihnen unbedingt eine Freude machen, kaufte im gegenüber gelegenen Laden drei Zigarrenkisten, lief den Soldaten nach und verteilte die Zigarren. Doch sie reichten nicht für alle, einige gingen leer aus, was Lena nicht akzeptieren wollte. Mittlerweile waren sie schon in Laim angelangt, wo sie in den Zug einsteigen sollten. Lena betrat also den nächsten Laden, in dem es Zigarren gab. Da sie weder Geld dabeihatte noch Kredit bekam – hier war sie gänzlich unbekannt –, ließ sie einfach ihre goldene Biedermeierbrosche als Pfand zurück. Sie versprach, die Nadel am nächsten Tag wieder auszulösen, und der Ladeninhaber ließ sich auf den Handel ein. Auf diese Weise erhielten auch die Soldaten, die als letzte der Kompanie marschierten, ihr Geschenk von Lena. Zu Hause angekommen entdeckte sie, dass kein Geld mehr da war, um die Brosche zu holen. Doch am nächsten Tag geschah ein kleines Wunder: Der Geldbriefträger überbrachte eine Postanweisung über dreihundert Mark. Vor Freude führten Lena und Jerusalem einen »Negertanz« auf. Absender war die Schillerstiftung. Jerusalem hatte beim Leiter der Münchner Zweigstelle, Dr. Erich Petzet, über die schwierige materielle Situation geklagt, in der sie sich seit Kriegsbeginn befanden. Da Petzet sowohl die Erinnerungen einer Überflüssigen als auch Mathias Bichler überaus hoch schätzte, hatte er die Stiftung in Weimar zu dieser unterstützenden Zahlung bewegen können.
Sie werde einmal so berühmt sein, dass ein König sie zu Tisch bitte, hatte die Wahrsagerin Lena Christ vorhergesagt. Das muss selbst einer Frau, die so empfänglich für Prophezeiungen war, unwahrscheinlich vorgekommen sein. Wie sollte der König auf sie aufmerksam werden?
Nun war sie durch ihr Buch Unsere Bayern anno 14 endlich als Schriftstellerin in aller Munde – sogar über die Grenzen Bayerns hinaus –, und so erhielt der Albert Langen Verlag eines Tages einen Brief aus der Hofkanzlei mit der Einladung an die Autorin, ins Palais Wittelsbach zu kommen. Seine Majestät der König wollte sie unbedingt kennenlernen. Sie war also tatsächlich etwas Besonderes, wie sie es schon
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