Lena Christ - die Glueckssucherin
sondern auch einige besondere Hausnamen. Vor allem aber wurde sie zu einer Figur inspiriert, dem »Tiroler Katherl«. Im Buch war sie auf die Notiz gestoßen: »Am 21. April 1763 starb ›das Tiroler Katherl‹, sonst umhervagierend, zur Zeit aber im Dienst beim Riedl in Adling.« Dieser eine Satz regte die Fantasie der Schriftstellerin so stark an, dass sie eine Figur daraus bildete.
Lena Christ ging permanent mit offenen Augen und Ohren durch die Welt. Jerusalem erwähnt mehr als einmal ihr außerordentlich gutes Gedächtnis, das ihr beim Schreiben zugutekam und sie ihre Eindrücke detailgetreu aufs Papier bringen ließ. Er berichtet von einem Ausflug im Mai 1913, der sie mit dem Zug nach Schliersee führte. Von dort aus wanderten sie nach Bayrischzell und entdeckten kurz vor Aurach eine »seltsame Hütte«, die wie eine Zigarrenschachtel mit einem Dach aussah: Über einer Lage Bretter und der darauffolgenden Schicht Stroh lagen Kleidungsstücke und Lumpen, die mit Steinen, den Resten eines schmiedeeisernen Gartenzauns, Töpfen und Emailschildern beschwert waren. Ein Maler stand mit Palette und Pinsel vor seiner Staffelei neben dem Haus. Mit Erstaunen stellten die beiden Besucher fest, dass er die vor ihnen liegende Wendelsteinlandschaft in düsteren Farben, umhüllt von dunklen Regenwolken malte, obwohl herrlichstes Frühlingswetter herrschte. Auf ihre Frage, antwortete er, das Bild sei eine Auftragsarbeit, die er am Vortag begonnen, aber nicht fertigbekommen hätte. Für Lena war es klar, dass diese Begebenheit Einzug in ihren Roman halten würde: Der Maler war Vorbild für den Bildlmacher Thomas Beham, eine der schönsten Figuren, die Lena Christ geschaffen hat. Er ist der Lehrer Mathias Bichlers, der den Jungen mit Inspiration und Verständnis auf seinem Weg begleitet: »Und er war ein gar fleißiger Maler; Tag für Tag ging er hinaus und stellte sich bald hierhin, bald dorthin, eifrig betrachtend, zeichnend und malend.«
Der Wallfahrtskirche von Birkenstein war Jerusalem zum ersten Mal in Lenas Manuskript begegnet. Diesen Teil hatte sie bereits geschrieben, als die beiden ihre Frühlingswanderung unternahmen. Er erkannte alles wieder, was er in Lenas Kontobuch gefunden hatte: »die schmale Holztreppe hinauf, die zu einem Wandelgange führte; der zog sich rings um das Kirchlein und war an Decke und Wänden mit Votivtafeln und Gemälden dicht behangen«. Und als sie schließlich die Kapelle betraten, war es »wahrhaft so, wie ich’s gelesen hatte: die reichgeschmückte Muttergottesstatue mit dem Kind schien in dem magisch roten Licht hoch über dem Altar zu schweben.«
Lena Christs 1914 erschienener Roman Mathias Bichler ist nicht nur eine Hommage an ihren Großvater Mathias Pichler. Er enthält Elemente des Abenteuerromans, des Entwicklungsromans und erzählt die Karrieregeschichte eines Künstlers. Mathias Bichler ist ein Findelkind, das bei seinen Zieheltern auf dem Land aufwächst, nach einer Wallfahrt überfallen wird, im Waldhaus von einer jungen Frau, Kathrein, gesund gepflegt wird und sich in sie verliebt. Doch bevor sie endgültig zusammenkommen, muss er seine »Lehr- und Wanderjahre« absolvieren. Er wird zum berühmten Herrgottschnitzer. »Mag sie auch als Mathias Bichler, mit dem Namen ihres Großvaters, in Mannsrock und Hosen und rund hundert Jahre früher nach München kommen oder als Bauernmagd in Gestalt der Rumplhanni zur Zeit des letzten großen Krieges zuwandern und in der Au draußen zu kleinbürgerlichem Wohlstand gelangen, immer ist es im Grunde doch sie, das mehr oder minder missachtete Landkind, das sich in der Stadt seinen Anteil am Dasein und seinen Platz an der Sonne erkämpft«, diagnostizierte Peter Jerusalem.
Nach dem Erscheinen von Mathias Bichler geschah Ähnliches wie bei Lena Christs Debüt. Diesmal war die Kritik noch lobender, doch die Leser zeigten kein großes Interesse. Im Literarischen Echo schrieb der elsässische Schriftsteller Arthur Babillotte: »Im Mathias Bichler haben wie endlich wieder einmal einen wundervoll lebensechten Abenteuerroman im besten Sinne.« Die Autorin lasse »Ludwig Thomas Bücher weit hinter sich«, weil man bei ihr nicht die Absicht spüre, »die bayerische Eigenart aufdringlich herauszuheben, sondern alles natürlich und selbstverständlich geschieht und ausgefochten wird«. Es sei keine Satire, sondern »einfach Leben«.
15
Überleben im Krieg
Im April 1914 zogen Lena, ihre beiden Töchter und Jerusalem von Gern nach Nymphenburg in die
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