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Lena Christ - die Glueckssucherin

Lena Christ - die Glueckssucherin

Titel: Lena Christ - die Glueckssucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunna Wendt
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viereckigen Ausschnitten des Himmels, dessen Gestirne Sinn und Bedeutung verloren haben als die natürlichen Herren über Wachsein und Schlaf, verdrängt durch ein von Maschinen künstlich erzeugtes Licht, hat uns von dem wahren Quell des Lebens vertrieben.« Mit pathetischen Worten jammerte er über den Verlust, den das für die Welt bedeute: Der Mensch wisse nicht mehr, mit Geheimnissen zu leben, sondern empfinde sie als unheimlich. Der Stille des Waldes mit seinem Vogelgezwitscher setzt er den Schallplattenkoffer, den er als eine der vielen »Erfindungen des Teufels« bezeichnet, entgegen. Damit unterschied er sich stark von Lena Christ, die ein hochentwickeltes Differenzierungsvermögen besaß und der jegliche Heimattümelei fernlag. Für sie wiesen beide Lebensformen, die ländliche wie die städtische, Vorzüge und Nachteile auf. Diese spricht sie in ihren Werken an. Auf dem Land sind die Chancen für Mägde und Knechte gering, ihren Stand hinter sich zu lassen. In der Stadt gelingt der gesellschaftliche Aufstieg leichter, obwohl dort das Maß an Armut und Elend ungleich größer ist als auf dem Land.
    Es gab für Lena Christ keine unüberwindbare Grenze zwischen Land und Stadt, sondern in erster Linie gegenseitige Ressentiments und Vorurteile, die aus Unkenntnis resultierten. Die mutige Rumplhanni bekommt beim Anblick der Lichter der Stadt Angst. Die Kombination Fremdheit, Weite und Helligkeit ist ihr gänzlich unbekannt. Sie assoziiert damit Kälte und Abweisung, doch Franzi Weinzierl, eine Hausiererin aus der Au, nimmt Hanni bei sich in der Herberge auf. Sie verdient den Lebensunterhalt für sich, ihren kranken Mann und ihre sechs Kinder mit dem Verkauf von Obst und Gemüse und bewegt sich auch in den Straßen, in denen Hausieren verboten ist, denn »s’Gschäft geht halt amal in dene Straßen am besten, wos Hausieren verboten is«. Die Geldstrafe, die über sie verhängt wird, büßt sie jedes Jahr im Gefängnis ab, und zwar im Winter, wenn das Geschäft ohnehin schlecht läuft. Die Wohnform der Herberge war damals typisch für die Unterschicht: Eine Herberge bestand aus einem oder mehreren Zimmern, die gekauft wurden. Im Fall von Franzi Weinzierl handelt es sich um drei Stuben im Erdgeschoss, von denen eine vermietet wird, mit einer Kochgelegenheit und einem kleinen Stall, der als Lagerraum dient. Das Haustier, die Ziege, wird in einer der Stuben gehalten.
    Lena Christ verklärt das Land auch in ihrem letzten Roman Madam Bäurin nicht, in dem es für die Protagonistin der Sehnsuchtsort ist. Das Manuskript entstand in den letzten Kriegsjahren, das Buch erschien 1919 im Leipziger Paul List Verlag. Offensichtlich war Peter Jerusalem nicht daran beteiligt, wie seine Bemerkung beweist: »Der neue Roman, der bei meinem ersten Urlaubsbesuch noch in den Kinderschuhen steckte, war inzwischen herangewachsen und lag nun bei meiner Heimkehr fertig auf dem Schreibtisch.«
    Die Fluchtlinie, die Rosalie Scheuflein, die »Madam Bäurin«, wählt, führt von der Stadt aufs Land. Sie geht also den der Rumplhanni entgegengesetzten Weg. Die Protagonistin ist ein »stämmiges Weibsbild«, das zupacken kann und gern körperlich arbeitet – keine höhere Tochter mit zwei linken Händen. Ihre Mutter versucht, sie in eine Ehe zu drängen, die ihnen allen Wohlstand garantieren soll. Rosalie widersetzt sich erfolgreich und wird dabei von ihrer Tante unterstützt. Entgegen aller Prognosen wird sie als Bäuerin glücklich.
    Josef Hofmiller betont, dass das Dilemma der Rumplhanni darin besteht, dass sie auf dem Land nicht zurechtkommt, obwohl sie von dort stammt. Ganz anders in der Stadt: »Draußen bei den Bauern geriet ihr alles falsch, in der Stadt gedeiht ihr auch das Schlimme zum Guten.« Wer von der Enge des Dorfes erdrückt wird, kann von der Stadt in ihrer Unübersichtlichkeit profitieren. Die Vielfalt der Lebensformen eröffnet bisher unbekannte Chancen. Auf dem Land dagegen herrschte eine strenge Dienstbotenhierarchie. Bei den Männern nahm der Oberknecht oder Großknecht die erste Stelle ein, ihnen folgten Mitterknecht und Hüterbub. Bei den Frauen konnten nur die Köchin oder die Haushälterin in ihrem Bereich weitgehend selbstständig entscheiden und arbeiten. Unterstellt waren ihnen Oberdirn, Mitterdirn, Unterdirn und Kindsdirn. Hanni hatte während ihrer Dienstzeit den Status der Oberdirn, auf den sie stolz war, der aber wenige Entfaltungsmöglichkeiten bot. Sie hatte gelernt, den vorhandenen Spielraum so weit wie

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