Lena Christ - die Glueckssucherin
verhaltenen Tränen«, erinnert sich Jerusalem.
31 Gedenktafel am Haus Maximilianstraße 8 in Landshut
Lena und Jerusalem zogen im Herbst 1917 in eine möblierte Wohnung nach Landshut, wo er schon seit einiger Zeit stationiert war. In der Kleinstadt schien das Überleben zunächst viel leichter zu sein, denn dort bestand kein Mangel an Lebensmitteln. Davon zeugten allein die Auslagen in den Schaufenstern der Läden. Die beiden behielten allerdings parallel zu den möblierten Zimmern in der Landshuter Altstadt eine kleine Wohnung in München in der Winthirstraße, in der sie die Möbel unterstellten, von denen sie sich nicht trennen wollten. Lenas Töchter kamen ins Internat: Bis Anfang 1919 blieben sie im Dominikanerinnenkloster St. Maria in Niederviehbach.
Das erste Werk, das Lena in Landshut verfasste, war ein Einakter mit dem Titel Der goldene Strumpf . Das Stück hatte am 15. Oktober 1917 gleichzeitig im Stadttheater Landshut und im Deutschen Theater München Premiere. Ihm folgten einige Geschichten und der Anfang eines Alt-Münchner Romans, dessen Protagonist Kaspar Glück hieß. Bereits Ende 1915 war die Rede von diesem Projekt. Am 4.12.1915 schrieb Lena Christ an den Bibliothekar Erich Petzet, sie habe eine große Bitte: »Ich bräuchte etliche Werke über München um 1830 bis 1870. Die Kaution von 20 Mk kann ich aber nur schwer aufbringen; zum Hingehen in die Bibliothek bin ich noch viel zu elend, – ich soll ja noch nicht einmal aufstehen! – Kurz – ich weiß mir keinen Rat in der Sache. Es soll nämlich ein heiterer Roman aus Alt-München entstehen, dessen Grundrisse schon in mir fest sind, und der schon von vorn herein angenommen ist von A. Langen.« Sie schlägt Petzet vor, eine Buchauswahl zu treffen und die Titel für sie bereitzulegen, »erwünscht wären halt Werke, die Kulturgeschichtliches, gesellschaftliche Sitten, Stadtbeschreibungen und dergl. enthalten, auch besonders alte Zeitungen«.
32 Peter Jerusalem (mit Zigarette) und seine Kameraden, Landshut 1917
Im Winter 1917 musste Jerusalem an die Front. Während er die Trennung als vorübergehend betrachtete und relativ leicht nahm, litt Lena sehr darunter. Unterwegs erhielt er die Nachricht, dass sie schwer erkrankt war. Die harten Kriegswinter setzten ihrer Gesundheit zu; 1916 hatte sie eine doppelte Brustfellentzündung überlebt. Nun war ihr Zustand wiederum besorgniserregend. In ihren Briefen stand, ihr Leben bestehe zum großen Teil aus dem Warten auf ihn. Dieses Warten sei das »Alpha und Omega« ihres Denkens, gestand sie ihm und prophezeite, sie selbst werde ein Opfer des Krieges, wenn er noch lange dauern sollte. »Ich war nur durch Dich was und bin nix mehr, seit ich Dich nicht mehr hab. Ich bin haltlos, kraftlos und lebenslos. Mein ganzes Dasein und Tagwerk ist wie ein Traum – ein Traumzustand, in dem ich mechanisch das und jenes unternehme, Dummheiten mach, gscheite Ideen hab, Gemütsempfindungen hab –, aber mein eigentliches Leben ist wie in einem Sarg verschlossen, und nur Du kannst es wieder zum Leben bringen …« Seine Gegenwart, sein Glauben an ihre literarischen Fähigkeiten waren für sie unverzichtbar, um schreiben zu können.
Der einzige Mensch, dem sie sich anvertraute, war Annette Thoma. »Mein lieber Peter ist heut an die Front gekommen. Ich bin recht traurig und ganz mit den Nerven herunter; aber grad kommt mir ihr lieber letzter Brief in die Händ und da muss ich sie herzlich grüßen«, schrieb Lena Christ an die Ehefrau des Malers Emil Thoma. Im Sommer 1917 hatten sich die beiden Frauen kennengelernt. Nach der Lektüre der Rumplhanni hatte sich Annette Thoma an die Autorin gewandt. So begann ihre Korrespondenz. Aus dem wenigen Erhaltenen lässt sich eine große Vertrautheit ablesen. Die Musik – vor allem der Gesang – war es, der sie zusammenschmiedete. Annette Thoma hatte Lenas außerordentliche Musikalität sofort entdeckt. Ihr eigener Einsatz galt der Bewahrung des geistlichen Volkliedes, sie war die Schöpferin der »Deutschen Bauernmesse«. »Es kommt ja nicht so sehr drauf an, was man jemandem sagt«, offenbarte sich Lena Christ, »sondern wie. Und da haben mir ihre lieben Zeilen recht wohl getan, umso mehr, als ich durchaus nicht die beneidenswerte Persönlichkeit bin, für die mich die meisten Leute halten.«
17
Der Bub
Mit ihrer letzten literarischen Arbeit wollte sich Lena Christ ins Glück hineinschreiben. Die Idee zu einem »Alt-Münchner Roman« beschäftigte sie schon seit 1915.
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