Lenas Tagebuch
Berechtigungsschein besaß, nichts ausgeteilt hätte. Lena kaufte im Laden 60 g Erbsen und kochte sich zu Hause Brei. Es wurde weder Brei noch Suppe daraus, sondern irgendetwas Undefinierbares. Aber jedenfalls quollen die Erbsen auf, wurden weich, körnig und ließen sich lange kauen. Lena aß je drei Erbsen auf einmal, und dieser Genuss reichte ihr für den ganzen Abend. Völlig entkräftet ging Lena früh zu Bett. Am Abend gab es noch einmal Fliegeralarm, aber er dauerte nur kurz. Direkt vor dem Sonnenuntergang lugte die Sonne noch einmal zwischen den Wolken hervor und erhellte das traurige geplünderte Zimmer, die übrig gebliebenen Sachen und Bücher und in der Mitte das volle Nachtgeschirr. Lena fehlten die Kräfte, den Eimer mit dem Kot nach unten zu tragen. Heute verlief Lenas Tag traurig und kummervoll. »Morgen wird etwas geschehen«, dachte sie beim Einschlafen.
11. Mai
Lena wachte ungefähr um zwölf Uhr mittags auf. Sie verließ das Haus kurz nach […] 126 . Sie beschloss, zuerst zum Evakopunkt zu gehen. Der Gedanke, die Anmeldung für die Evakuierung könnte schon begonnen haben, beunruhigte sie sehr. Es war warm, die Sonne schien, aber der Evakopunkt war noch immer wie leergefegt. Lena fragte den Diensthabenden am Eingang, ob es Nachrichten bezüglich der Evakuierung gebe, aber man antwortete ihr: keinesfalls vor dem 15. Lena verließ sofort der Mut, und auch die Sonne, der blaue Himmel und die Wärme hörten sofort auf, sie zu erfreuen.
Sie ging zu Marija Fjodorowna Bartaschewitsch. Sie hatte Glück. Sie traf sie auf der Treppe, als sie mit einem Topf voller Nudeln aus der Kantine zurückkam. Sie nahm Lena mit sich aufs Zimmer. Sie gingen lange Gänge entlang, bogen mal nach rechts, mal nach links ab, Lena hätte es nie allein gefunden. Schließlich kamen sie in das Zimmer. Lena erblickte auf dem Bett zwei ihrer Kissen, sauber, gewaschen, mit an die Ecken genähten Bändern, sie sahen gut aus. Dort stand auch der Bücherschrank, auf den Einlegeböden lagen bestickte Deckchen, und schönes Porzellangeschirr stand wie […] 127 , darunter Akas blaue Zuckerdose.
In Marija Fjodorownas Zimmer war es sehr gemütlich und warm. Spiegelschrank, Klavier, Schreibtisch, viele Bücher, ein Teppich auf dem Boden. Marija Fjodorowna gab Lena einige Gürtel und sagte, dass ihr Mann ihr erlaube, in die hiesige Kantine zu kommen, wenn sie wolle. Lena dankte ihr sehr. Zusammen gingen sie zur Kantine. Marija Fjodorowna stellte Lena der Büffetiere vor und sagte ihr, dieses Mädchen werde in der nächsten Zeit hier in der Kantine Essen für Bartaschewitsch holen. Dann zeigte sie ihr, wie man ohne Berechtigungsschein in die Kantine kommt, unterschrieb einen Berechtigungsschein, bat Lena, Wera, Kissa und Onkel Serjoscha zu grüßen und, wenn sie sie sehe, Wera auszurichten, dass sie sie gerne besuchen kommen möge. Sie sagte, Lena solle, wenn nötig, zu ihr kommen, und ging dann fort. Lena blieb in der Warteschlange stehen, die Schlange war kurz, nur etwa sieben Personen. Lena sah sich um. Sie befand sich in einem kleinen, sauberen Raum mit zwei Fenstern. Auf der einen Seite des Raumes, an den Fenstern, standen vier mit sauberen Wachstischdecken gedeckte Tische. Auf den Tischen standen Vasen mit Blumen, auch auf den Fensterbänken standen Blumen, an den Fenstern hingen saubere weiße Vorhänge. Auf der anderen Seite des Raumes stand ein hübsches, sauberes Mädchen in einem weißen Kittel, sie trug ein rotes Barett. Sie war auf drei Seiten von Tischen umgeben, hinter ihr stand ein Schrank. Alles hier war ungewöhnlich sauber und adrett. Suppe, Brei, Nudeln – alles befand sich in vor Sauberkeit blitzenden Zinkeimern, die mit Deckeln verschlossen waren. Das Mädchen arbeitete sehr genau und präzise. Es gab dicken und sauberen Hirsebrei, die Portion 250 g, Nudeln, die Portion 200 g, und Suppe, ziemlich dick, mit Weizengrütze und Nudeln. Außerdem gab es Bockwürste. Lena nahm Hirsebrei. Unterwegs kaufte sie Brot, zu Hause aß sie Brei mit Brot, das machte sehr satt. Danach zählte sie ihre Marken. Es stellte sich heraus, dass sie täglich 40 g Nährmittel ausgeben und zweimal Fleisch nehmen konnte. Das galt bis zum 15. Mai. Danach ging Lena Wasser holen und […] 128
16/V 42
(Vom 15. Mai.) Nun ist das Wetter wunderschön geworden, die Sonne scheint, es ist warm, 16 Grad im Schatten. Das Gras wird ganz grün, die Knospen schwellen. Der Frühling ist auf seinem Höhepunkt. Aber der Deutsche schläft nicht.
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