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Lenas Tagebuch

Lenas Tagebuch

Titel: Lenas Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Muchina
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Jeden Tag gibt es Artil­le­rie­beschuss und mehrere Luftangriffe.
    Auch jetzt liegen wir unter furchtbarem Artilleriebeschuss. Lena war den Newski-Prospekt entlanggegangen. Sie wollte ihre für 90 Rubel gekauften 200 g Brot in Nährmittel eintauschen. Sobald der Beschuss begann, überquerte Lena die Straße und verbarg sich in den Gräben auf dem Katharinenplatz. Pfeifend flogen ohne Unterbrechung die Granaten über ihren Kopf hinweg. Pausenlos krachten die Explosionen. Es war sogar ziemlich schrecklich. Selbst die Vögel, die noch immer weitergezwitschert hatten, verstummten. In einer stillen Minute blickte Lena aus ihrem Unterstand hinaus und war ganz überrascht von dem Bild, das sich ihr bot. Es ist erstaunlich, wie sehr sich die Menschen daran gewöhnt haben, dass ihr Leben in jeder Minute in Gefahr ist. Als ob niemand den Beschuss auch nur bemerkt hätte, fuhren die Straßenbahnen, Autos eilten dahin, Leute gingen ihrer Wege, andere saßen ruhig auf den Bänken. Ein jeder war mit seinen Angelegenheiten beschäftigt, und Lena war es mit einem Mal irgendwie peinlich. Vielleicht glauben die Leute noch, sie ticke nicht ganz richtig, dass sie sich im Graben verkrochen hatte. Und so ging sie nach Hause. Der ­Beschuss ließ übrigens nach und endete schließlich ganz.
    Die Sonne ließ sich heute den ganzen Tag nicht blicken, aber es war warm, sogar schwül. Lena übernachtete wieder bei Wera. Wera und Kissa hatten beschlossen, heute länger zu schlafen, aber Lena hielt es nicht im Bett. Wie auch, wo ihr doch Kissa gestern Abend eine solche Freude bereitet hatte.
    Lena war erst am Abend zu ihnen gekommen. Kissa fragte sie, wie es um ihre Evakuierungserfolge stehe. Lena berichtete ihr traurig, dass die Evakuierung erst nach dem 20. beginnen werde, dass man sich erst ab dem 18. anmelden könne, dass aber zuerst nur Per­sonen mit vorübergehender Aufenthaltsgenehmigung, Kriegsversehrte und Frauen mit Kindern unter zwölf Jahren angemeldet würden.
    Da sagte Kissa zu ihr: »Nun, siehst du, Lenka, du bist aber mit uns schon angemeldet, und auch den Antrag habe ich in deinem Namen schon abgegeben.« Und sie erklärte alles genau. Wie sich herausstellte, war sie heute in aller Eile in den Evakopunkt versetzt worden. Sie schrieb in Lenas Namen den Antrag und trug Lena als sechzigste in die Liste ein. Jetzt muss Lena nicht mehr hin und her rennen, sich Sorgen machen und sich jeden Tag ins Institut für Kühltechnik schleppen. Jetzt muss Lena nur noch ihre Sachen packen und den Beginn der Evakuierung abwarten. Sie soll am 20. beginnen, und Lena wird gleich in den ersten Tagen wegfahren. Jetzt ist verständlich, warum Lena so früh aufstand. Sie wusch sich sorgfältig und begann zu stricken. Sie merkte nicht, wie die Zeit verging. Schließlich standen alle auf. Lena ging Brot holen. Das Brot war ganz feucht, aber Lena machte daraus hervorragenden Toast, richtig ein Genuss! Sie tranken Tee. Onkel Serjoscha bewirtete Lena mit Sülze, Wera gab ihr ein Stückchen Fleisch. Dann diktierte Kissa Lena das Antragsschreiben, und danach strickte Lena wieder. Diese Beschäftigung machte ihr Spaß. Lena plante, um halb zwölf aus dem Haus zu gehen, um zur Essenszeit in der Kantine zu sein, aber es kam anders. Um elf Uhr begann ein Fliegeralarm, der bis 12 Uhr 25 dauerte. Und obwohl Lena sich sofort auf den Weg machte, als der Alarm beendet war, und obwohl sie mit der Straßenbahn fuhr und bald ankam, kam sie zu spät. In der Kantine gab es natürlich nichts mehr.
    Lena besuchte Marija Fjodorowna und erfreute sie mit ihrer Nachricht. Danach eilte sie in die Kantine an der Prawdastraße, stand dort zwei Stunden in der Schlange und erhielt schließlich Erbsbrei und Brägen. Der Brei war dick und gut, der Brägen sehr fett, lecker, sättigend. Nicht umsonst wird eine Marke für 50 g Fleisch abgeschnitten, und man bekommt nur 30 g dafür. In der Kantine traf Lena Nina Katoschewa und erfuhr von ihr, dass die Schule erst am 20. beginnt, dass es noch immer keine Verpflegung gibt und diese frühestens ab dem 18. beginnen soll. Lena hatte also nichts eingebüßt, als sie sich von der Schule abmeldete, im Gegenteil, sie hatte den Vorteil, völlig frei zu sein, Nina hingegen gehört zur Gruppe Lokale Luft­abwehr. Nach der Kantine bezahlte Lena die Miete für ihre Wohnung für den Monat Mai und setzte danach das Stricken fort. Um sechs Uhr am Abend ging sie zur Schakt und erhielt dort eine Bescheinigung, dass sie keinerlei Schulden habe und dass die

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