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Lenas Tagebuch

Lenas Tagebuch

Titel: Lenas Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Muchina
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Küche. Es war sehr still, Flugzeuge waren nicht zu hören. Dann hörten wir dumpfe Schläge aus der Ferne. Wir drückten uns aneinander und dachten: Bomben! Keine Flugzeuge zu hören, doch die Schläge kamen etwas näher, blieben aber dann in der gleichen Entfernung. Das ist unsere Flak. Wir horchten: Die Flak schoss, schoss erbittert. Draußen heulten die Sirenen, die Kanonade der Flak verstummte nicht, aber die Wolken zogen gleichmütig über den bleichen Himmel, und hier und dort funkelten die Sterne zwischen ihnen. Es war schrecklich. Nach einer halben Stunde wurde Entwarnung gegeben. Mama und ich legten uns ins Bett und schliefen ein, ohne uns auszuziehen.
    23. Juni 1941
    Morgens kam endlich der lang erwartete Bericht.
    Um vier Uhr morgens am 22. Juni 1941 haben reguläre Truppen Hitlers unsere Grenze überschritten und begonnen, auf unser Gebiet vorzudringen. Starke deutsche Bomberverbände haben friedliche Städte und Dörfer unseres Landes bombardiert; aber schon um sechs Uhr morgens sind sie auf die regulären Einheiten der Roten Armee gestoßen. Im Verlauf des ganzen 22. Juni fanden erbitterte blutige Kämpfe statt, die die deutschen Truppen auf ganzer Länge der Front unter schweren Verlusten zum Rückzug zwangen. Nur an einigen Punkten konnten die Hitlerfaschisten vordringen und einige kleine Städte und Dörfer in 30–40 Kilometern Entfernung von der Grenze einnehmen.
    Deutsche Bomber haben Städte und Dörfer unserer Heimat angegriffen, aber überall empfingen sie unsere Jagdflieger und das Feuer der Flak. 65 deutsche Bomber wurden insgesamt abgeschossen.
    Das englische Oberkommando und General Churchill haben erklärt, dass sie alles Mögliche tun werden, um den Russen zu helfen, und ihnen helfen die USA. Hitler hat sich verrechnet, er denkt, dass er die Sowjetunion vor Beginn des Winters besiegen und dann mit Westeuropa endgültig abrechnen wird. Hitler glaubt, dass seine Feinde im Westen schwach geworden sind und ihn nicht daran hindern können, seine weiteren Pläne zu verwirklichen. Aber er hat sich verrechnet, wir werden den Feind Tag und Nacht mit vermehrter Kraft schlagen. Wir werden alles tun, um Russland zu helfen. Wir werden alles tun, um die Menschheit aus der Tyrannei zu erretten. 16 Heute früh hat bei uns draußen und auf dem Dachboden die Arbeit begonnen. Draußen wird eilends ein Gasschutzraum gebaut, der den ganzen Keller in Anspruch nehmen wird. Auf dem Dachboden werden alle Trennwände und Verschläge herausgerissen. Sie sind ja aus Holz, und wenn durch Bomben ein Brand auf dem Dachboden entstünde, dann würden diese Verschläge bestes Brennmaterial abgeben.
    Iwan Iwanowitsch ist vor Kurzem angekommen. Er hat die ganze Nacht mit 70 Untergebenen im Udelny-Park Gräben ausgehoben. Feindliche Flugzeuge hat er nicht gesehen: Sie flogen sehr hoch, damit das Feuer unserer Flak sie nicht erreichen konnte. Aber er hat ihr Brummen gehört, hat Flakfeuer gehört und gesehen. Von Bomben weiß er nichts. Der Hauswart hat anscheinend erzählt, dass eine andere Flugzeugstaffel sich durchgekämpft und Bomben auf die Fabrik »Bolschewik« abgeworfen hat. Ich weiß nicht, ob das stimmt, aber ich glaube nicht, dass der Hauswart falsche Gerüchte verbreiten würde; er ist besser informiert als wir.

    Um die Wahrheit zu sagen, weder wir noch unsere Wohnung sind für einen Angriff gerüstet: Wir wissen nicht, wo die Sanitätsstelle ist, wo die Dekontaminationsstelle, wo der Luftschutzbunker, wo der Stab der Luftabwehr, was wir bei Sprengbomben zu tun haben, was bei Brandbomben. Ich weiß, dass man Sand streuen muss, aber wir haben keinen Sand in der Wohnung. Ich glaube, man muss (so war es im Kino zu sehen) Papierpäckchen zusammenkleben, mit Sand füllen und sie an jeder Zimmertür und im Flur zu kleinen Haufen schichten.

    Mama und ich waren auf dem Marsfeld. Da stehen in der Mitte sechs Flakgeschütze, dort sind auch die schweren Kisten mit den Geschossen aufgestapelt. An die Geschütze darf man nicht heran.
    Erst heute hat die Stadt begonnen, sich zu ver­ändern.
    24. Juni
    Die Nacht auf den 24. haben wir ruhig geschlafen. In dem runden Park in der Nähe der Tschernyschew-Brücke hat sich, gleich einem auf der Seite liegenden Fisch, ein silbriger Fesselballon in voller Länge niedergelassen. Seile halten ihn fest. Daneben liegt ein Haufen Gas­flaschen. Im Park auf dem Ostrowskiplatz, im Park beim Palast der Pioniere, werden eilends tiefe Gräben ausgehoben, so tief, wie ein Mensch groß ist, und

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