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Lenas Tagebuch

Lenas Tagebuch

Titel: Lenas Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Muchina
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bemerken.« Wir machten kehrt und gingen zurück. Als wir beim Haus von Wera Prokofjewa vorbeikamen, sahen wir, dass die Jungs uns auf der anderen Straßenseite entgegenkamen. Sie erblickten uns, verbeugten sich, und Mischa Iljaschew scharrte mit dem Fuß. Wir gingen noch ein Stück weiter und blieben stehen, wir schauten zu ihnen, sie blieben stehen, wechselten ein paar Worte miteinander, kicherten und schauten uns an. Dann gingen sie zu Kira Krutikow. Da erst sind wir Mädchen wieder zu uns gekommen. Was haben wir bloß getan, wir werden jetzt vor Scham vergehen, sie werden uns keine Ruhe lassen (aber es stellte sich heraus, dass unsere Jungen so gut erzogen waren, dass es am nächsten Tag keine einzige Anspielung gab, als wäre nichts gewesen).
    Es begann ein erbitterter Kampf zwischen mir und den Mädchen. Ich habe die Jungen verteidigt, sie versuchten, sie zu entlarven. Nach und nach musste ich nachgeben. Die Schlacht haben sie gewonnen. Ich habe alles zugegeben, nur in einem Punkt bin ich nicht weich geworden. Ich habe nicht zugegeben, dass Wowa schlimmer sein sollte als alle Jungs zusammengenommen. Obwohl sie mich an dieser Front am meisten angegriffen haben, vor allem Rosa. Sie beschrieb mir Wowa so, dass ich nicht mehr wusste, was ich sagen sollte. »Selbstverliebt, überheblich, außer sich selbst hält er alle für unbedeutend! Zwingt alle, nach seiner Pfeife zu tanzen, schaut auf alle herab. Gibt den Ton bei allen Jungs an. Wer hat als Erster angefangen, den Mädchen den Hof zu machen? Wowka! Wer hat als Erster mit dem dummen Spiel angefangen zu fragen, wen liebst du, wer gefällt dir? Wowka! Wer hat als Erster mit der Unart angefangen, den Mädchen den Mantel zu reichen? Wowka. Und du, Lena, behauptest, dass er nett sei. Ja, ich bin mir sicher«, fuhr Rosa fort, »dass Wowka sich, als Mischa Iljaschew dich vor allen Jungs verspottete, nicht gerade zurückgehalten hat.«
    »Denkst du«, fragte ich, »dass er mich auch verspottet hat?«
    »Natürlich. Etwa nicht?«, antwortete Rosa überzeugt.
    Ich schwieg, was soll ich mit ihr diskutieren. Sie ist sich der Richtigkeit ihrer Worte so sicher. Für mich ist es hingegen komisch, das zu hören, weil ich Wowa genau vor Augen habe, sowohl zu Hause als auch in der Schule, als auch auf der Feier … Das hat nichts miteinander zu tun.
    Wowa weiß ja noch nicht einmal, dass die Jungs ihn bewundern. Er registriert das einfach nicht. Ihm scheint es, dass das so sein muss. Nein, nein, nein und noch einmal nein. Rosa lügt. Sie kennt ihn einfach nicht. Oder sie will ihn mir wegschnappen. Sie hat wahrscheinlich das Gefühl, dass er sich in mich verliebt und sie vergessen hat. Unsinn, das alles.
    22. Juni 1941
    Um 12 Uhr 15 lauschte das ganze Land der Ansprache des Genossen Molotow 14 .
    Er teilte mit, dass deutsche Truppen heute um vier Uhr früh ohne Kriegserklärung unsere Westgrenze überschritten haben. Ihre Flugzeuge bombardierten Kiew, Schitomir, Odessa, Kaunas und andere Städte. 200 Menschen sind umgekommen.
    Um fünf Uhr hat der deutsche Konsul im Namen seiner Regierung die Kriegserklärung überreicht, das heißt, dass Deutschland gegen uns Krieg führt. Also ist das Schlimmste, was man hätte erwarten können, eingetroffen.
    Wir werden siegen, aber dieser Sieg wird nicht einfach sein, das ist nicht Finnland. Das wird ein wilder, erbit­ter­ter Krieg werden.
    Wenn im gegenwärtigen Krieg noch keine chemischen Waffen benutzt worden sind, so wird beim ­Angriff auf uns zweifellos 15

    Es ist schon halb zwölf Uhr nachts, und noch immer kein Bericht von der Front.
    Fast pausenlos werden im Radio Kriegslieder, Gedichte und Erklärungen über den Kriegszustand, über die Mobilisierung übertragen. Flugzeuge fliegen, kreisen über der Stadt, und auch wenn ich weiß, dass unsere sowjetischen Piloten hinter dem Steuer sitzen, ist mir trotzdem nicht ganz wohl.
    Denn genauso werden die Motoren der feindlichen Bomber dröhnen. Das ist furchtbar. Es wird doch wohl ein Bericht kommen. Wenn wir wenigstens einen kleinen Sieg errungen hätten, dann würde darüber berichtet werden, aber wahrscheinlich gibt es noch keinen Sieg. Ja, dort an der Front wird gekämpft.
    Die von draußen hereinkommen, berichten, dass auf den Straßen die Mobilisierten singend losmarschieren. Ihre Frauen, Kinder, Freundinnen verabschieden sie.
    Wir werden siegen, Kameraden!
    Um zwei Uhr nachts hat mich das schwermütige Heulen der Sirene geweckt. Mama und ich zogen uns schnell an und gingen in die

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