Lenas Tagebuch
faschistischen Armee fehlt die Einheit, ihre Soldaten werden mit Zwang in den Kampf getrieben, ihre Soldaten sind erschöpft, ihre Soldaten machen sich Sorgen um ihre Familien, ihre Soldaten wollen nicht gegen die Sowjetunion kämpfen. Nicht nur die einfachen Soldaten, sondern auch die faschistischen Flieger, Panzerfahrer und andere versuchen, in Gefangenschaft zu gehen. Die Kräfte dieser Leute, die physischen wie die moralischen, sind aufgezehrt.
In Luftkämpfen, bei denen zwei Flugzeuge neuester Bauart mit gleichen Flugeigenschaften aufeinandertreffen, siegt immer das Flugzeug, das von unserem Piloten gesteuert wird. Und zwar nur deshalb, weil die zerrütteten Nerven des feindlichen Fliegers als Erste versagen, und da reicht ein Moment der Unsicherheit, damit das Flugzeug die Luftherrschaft gewinnt, das der Pilot steuert, der nicht die Nerven verloren hat, und dieser Pilot ist fast immer der sowjetische Pilot, denn er verteidigt seine Heimat, seine Familie, seine Freunde, denn er glaubt an den Sieg und seine Kameraden, die, wie er sicher weiß, ihm in schwerer Stunde wie ein Mann zu Hilfe kommen. Der feindliche Flieger aber ist nicht überzeugt vom erfolgreichen Ausgang seines Kampfes, ist nicht überzeugt vom Sieg, ist sich seiner »Kameraden« nicht sicher, denn er weiß, dass im Moment der Gefahr jeder versuchen wird, nur sich selbst, sein Flugzeug, sein Leben zu retten. Er ist nicht vom Sieg überzeugt, da er der Angreifer ist und oft nicht weiß, warum.
28. Juni
Um vier Uhr hörten wir das Signal für Fliegeralarm. Wir haben uns also in den Keller begeben. Aber fast alle aus dem Haus sind nicht runtergegangen, sondern in ihrer Wohnung geblieben. Um fünf Uhr gab es Entwarnung. Wir sind auf die Straße hinausgegangen, ein breiter Strom greller schräger Sonnenstrahlen schoss hinter dem Glockenturm der Wladimirkirche hervor. Hell leuchteten in der Sonne die zahlreichen Fesselballons der Luftabwehr. Es war so schön, dass man nicht nach Hause gehen wollte. Eine Laststraßenbahn, vollgeladen mit Milchkanistern und Kisten mit Milchflaschen, fuhr vorbei. So wohl, so froh ist mir zumute. So ruhig bin ich.
1. Juli
Schon drei Tage dauert die Evakuierung der Kinder an. Jeden Morgen werden aus den Schakts, aus Kindergärten, aus Kindereinrichtungen Kinder zwischen einem und drei Jahren und auch Ältere in Bussen zum Bahnhof gefahren. Die einen zum Witebsker Bahnhof, die anderen zum Oktoberbahnhof 21 . Für alle ist es sehr schwer. Für je 100 Kinder werden ein Betreuer und eine Kinderpflegerin mitgeschickt. Heute fahren Greta, Ira und Schenja. Reweka Grigorjewna hat Glück, sie fährt als Betreuerin mit. Bombenangriffe gab es schon seit zwei Tagen keine. Im Radio werden Kampfepisoden wiedergegeben, es wird über Wachsamkeit gesprochen, über den Kampf gegen Geschwätzigkeit, oft daran erinnert, dass die Stadt Leningrad im Kriegszustand ist, es wird erklärt, wie man sich im Falle eines Bombenangriffs zu verhalten hat, wie man Brandbomben und Brandplättchen 22 löscht.
In der ganzen Stadt wird der Bau von Luftschutzbunkern und Splittergräben vorangetrieben. Es ergehen Erlasse über den Pflichtarbeitsdienst, über die obligatorische Abgabe aller Funkgeräte durch die Bevölkerung, damit der Feind sie nicht verwenden kann. Und Feinde haben wir im Hinterland genug. Fallschirmjäger sind eine beliebte Truppengattung des Feindes. Er setzt sie in großer Anzahl ab, aber dank der Wachsamkeit der sowjetischen Bürger, Kolchosbauern, Arbeiter wird der Großteil von ihnen im Moment der Landung vernichtet. Die Übrigen werden von unseren Sondereinheiten des NKWD 23 zusammen mit Werktätigen abgefangen. Aber viele sind noch nicht erwischt worden. Sie spazieren durch unsere Städte in Polizeiuniformen oder in Zivil. Die Aufgabe dieser Fallschirmdiversanten ist: relevante Informationen aufzutreiben, sehr wichtige Objekte in die Luft zu sprengen, Kolchosen anzuzünden, falsche Gerüchte zu verbreiten, Panik hervorzurufen, neue Agenten anzuwerben sowie Funkverbindungen, Telegrafen- und Telefonleitungen zu kappen.
Unter ihnen sind auch Frauen. Was diese Spione betrifft, so gehen in der Stadt verschiedene läppische Gerüchte um, wie zum Beispiel, dass vor Kurzem auf dem Newski-Prospekt zwei feindliche Flugzeuge gelandet seien …
Aber ganz darf man da die Augen nicht verschließen. Unter den von den Milizmitarbeitern Verhafteten waren nicht wenige »Fremde«.
An der Front dauert der erbitterte Kampf an. Jeder
Weitere Kostenlose Bücher