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Lenas Tagebuch

Lenas Tagebuch

Titel: Lenas Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Muchina
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Inhalt. In einem Zimmer im sechsten Stockwerk steht an der Wand ein Büfett aus Eiche, daneben ein kleiner Tisch, an der Wand hängt (das ist sehr merkwürdig) eine antike Uhr mit einem langen Pendel. Mit dem Rücken zu uns steht ein Sofa, auf dem eine weiße Überdecke liegt.
    Als Tamara und ich nach Hause gingen, begegneten wir Mischa Iljaschew. Während unserer ganzen Begegnung lächelte er irgendwie verlegen, womit er auch uns verlegen machte. Wir haben uns mit Handschlag begrüßt. Ein bisschen geredet und dann mit Handschlag verabschiedet. Er sagte, er sei auf dem Weg zur Kantine, um was zu futtern. Ich habe mich schon wieder nicht so verhalten, wie ich es hätte tun sollen. Ich habe ihn nicht angeschaut, sondern nur mal angeblickt. Ich hatte wieder vor irgendetwas Angst. Mischa ist ein Mann geworden, kräftiger. Seine Hände sind rau, Arbei­ter­hände. Er hat sich sehr verändert, der Junge.
    Nachdem wir uns von Mischa verabschiedet hatten, buchstäblich fünf Schritte weiter trafen wir Grischa Chaunin. Er hat uns nicht bemerkt oder tat so, als hätte er uns nicht bemerkt, das weiß ich nicht, jedenfalls sind wir einfach so aneinander vorbeigelaufen.
    Danach standen Tamara und ich in der Bäckerei in der Schlange für Sodawasser an, dann saßen wir eine halbe Stunde lang im Luftschutzbunker, dann haben wir uns eine halbe Stunde gestritten, wer wen besuchen soll. Ich habe gewonnen, wir gingen zu mir. Tamara saß bei mir wegen eines Fliegeralarms bis acht Uhr fest, zusammen haben wir eine Notiz von mir an Wowka geschrieben. Es ist nämlich so, dass dieser Schuft wieder so mit mir umgegangen ist, dass es eine Schweinerei ist: Das ganze Haus kalkt die Wände des Dachbodens, für unseren Anteil am Dachboden müssen wir 15 Rubel zahlen. Mama und ich haben entschieden, dass wir selbst streichen können. Ich habe beschlossen, meinen Freund zu Hilfe zu rufen, vor allem, weil das für ihn nicht neu ist. Ich bin zu ihm gegangen, er war nicht zu Hause, ich habe ihm eine Notiz hinterlassen, die ich seinem Vater übergeben habe. Ich bat darin, zu mir zu kommen und zu helfen. Aber er ist nicht gekommen. Wenn er beschäftigt wäre, hätte er kurz vorbeikommen können, um zu sagen, »ich bin, wollte ich nur sagen, beschäftigt«. Nein, das ist unverzeihlich. Und selbst wenn er nur ein Bekannter wäre (von einem Freund ganz zu schweigen), dann hätte er aus einem ritterlichen Gefühl heraus, das allen wohl­erzo­ge­nen Jungen seines Alters eigen sein müsste, kommen müssen. Ich habe ihm eine sehr scharf formulierte Notiz geschrieben und Tamara um die Übergabe gebeten. Mit Tamara habe ich dann ausgemacht, sie solle, wenn es eine Antwort gibt, selbst nach fünf zu mir kommen, und wenn es keine gibt, würde ich zu ihr gehen.
    Heute ist Tamara nicht gekommen, und ich bin auch nicht zu ihr gegangen, weil es die ganze Zeit Fliegeralarme gibt. Deshalb weiß ich auch nicht, ob es eine Antwort gibt oder nicht. Da bin ich sehr gespannt. Meiner Ansicht nach ist es so: Wenn Wowa doch noch denkt, dass wir Freunde sind, und er ein schlechtes Gewissen wegen seines schweinischen Verhaltens bekommt, wird er natürlich eine Antwort schreiben. Wenn diese Notiz für ihn ein leeres Stück Papier ist und er nichts von mir wissen will, wird es keine Antwort geben. Obwohl es auch so sein kann: Er zeigt diese Notiz den Jungs, und sie schreiben mir alle zusammen rasch eine Antwort. Aber dann wird so eine Antwort keinerlei Bedeutung für mich haben.
    4/X 41
    Wie lange ich nicht mehr geschrieben habe. Aber heute bricht es aus mir heraus. O mein Gott, was machen die mit uns, mit uns Leningradern, mich eingeschlossen?
    Ich arbeite im Hospital, das zum Klara-Zetkin-Institut für Mütter- und Kindergesundheit 45 gehört. Wir Sanitäterinnen haben Vierundzwanzig-Stunden-Schichten: Von neun Uhr morgens bis neun Uhr morgens des nächsten Tages arbeite ich, dann ruhe ich mich vierundzwanzig Stunden bis neun Uhr morgens des nächsten Tages aus. Also muss ich jede zweite Nacht schlafen. Das ist sehr schwer, aber noch erträglich. Aber wenn ich überhaupt nicht zum Schlafen komme, sondern nur im Luftschutzkeller dösen kann, das ist schrecklich. Jetzt ist es zum Beispiel Viertel vor sieben am Morgen. Zwischen halb acht Uhr abends gestern bis sechs Uhr früh gab es sechs Fliegeralarme, von denen zwei drei Stunden lang dauerten, zwei zwei Stunden und von den anderen zwei einer eine halbe Stunde und der andere eine Stunde. Ich arbeite im Hospital, und die Arbeit

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