Lenke meine Fuesse Herr
Albergue. Wir bekommen zwei Betten in einem Viererzimmer, duschen, machen uns landfein und während es draußen wie aus Feuerwehrschläuchen schüttet und triefend nasse Pilger ankommen — einen kenne ich sogar noch von Ventosa — speisen wir fürstlich und ich komme sogar einmal kurz ins Internet — keine wichtigen E-Mails für mich.
Mit einigem Wein im Bauch schlüpfen wir gegen elf Uhr in die Schlafsäcke, schäkern noch ein bisschen mit den beiden Spanierinnen, die das Zimmer mit uns teilen, und schlafen schnell ein.
Freitag, 29. Juli 2005
Portomarin – Melide 41 km
Wir frühstücken noch im Restaurant, gegen sieben Uhr geht es dann los. Hinab zum Stausee, auf einem Steg über den Seitenarm, dann lange einen Waldweg hoch. Es geht leicht bergauf und bergab, selten Straße, meistens Wege, ab und zu eine Brücke, gut markiert, ziemlich bevölkert — seit Sarria ist der Camino wirklich eine Heerstraße: Die letzten 100 Kilometer — die, für die man als Fußgänger seine „Compostela“ bekommt, das Pilgerzertifikat, das für viele Spanier eine Selbstverständlichkeit ist. Ich habe nicht mehr das Bedürfnis, groß Kultur zu besichtigen: Ich will nur noch laufen. Laufen, laufen und endlich, endlich in Santiago ankommen!
Die galizischen Kornspeicher begegnen uns jetzt an jedem Hof, die meisten schon aus Beton, doch hin und wieder ein altertümlicher, kunstvoll aus Steinplatten gefügt.
Durch kleine Dörfer, zwischen Hecken, Feldern und Eichenhainen — doch immer öfter bringt der Wind einen Duft nach Hustensaft mit sich. Anfangs bin ich irritiert — rieche ich Gespenster? Doch dann sehe ich diese fremdartigen Bäume, von denen meterlang Rindenfetzen herabhängen. Ich reiße ein Blatt ab und rieche: Das ist Eukalyptus! Und die völlig anders geformten Blätter, die die kleinen Bäume tragen, sind auch Eukalyptus, denn der Baum trägt in der Jugend andere Blätter als im Alter. Ich sehe aber auch, dass neben dem Weg Rinde und abgefallene Blätter kniehoch den Waldboden bedecken: Die europäischen Bodenlebewesen tun sich hart, mit den ätherischen Ölen dieser Fremdlinge fertig zu werden, habe ich mal gelesen. Es ist recht heiß, ich bin froh über meinen Hut, der die Sonne abhält — Christian hat sich seeräubermäßig ein großes Tuch um den Kopf gebunden und sieht regelrecht verwegen aus.
Am frühen Nachmittag sind wir in Palas de Rei. Christian bleibt hier — mich zieht es weiter. Ich komme an der großen Herberge beim Rathaus vorbei: Der Platz ist belagert von Pilgern — nichts wie weg! Es geht zur Stadt hinaus, die Straße entlang und da sehe ich linker Hand ein Restaurant. Mein Magen knurrt: heute mal richtig essen, nicht nur ein Bocadillo! Es gibt einen gemischten Salat, ein riesiges T-Bone-Steak mit Reis und Barbecuesoße, einen Mandelkuchen, ein Viertel Wein und einen Liter Mineralwasser. Während ich noch schmause, kommt ein deutsches Ehepaar per Auto und die fragen mich, was denn die Muschel auf meinem Rucksack soll — die sähe man jetzt immer öfter. Ich erzähle ihnen von der Jakobuspilgerschaft — schließlich fragen sie mich, wo ich denn gestartet sei. Kopfschüttelnd meinen sie, das würden sie sich nie Zutrauen. Ich kann nur sagen: „Versuchen Sie es doch einfach. Fassen Sie Mut und gehen im Urlaub mal eine Woche und Sie werden merken, wie sehr es Leib und Seele gut tut!“
Ultreia — weiter! Eigentlich hatte ich befürchtet, mit vollem Bauch könne ich nicht so gut laufen, doch ich habe eher neue Kräfte nach der Pause — auch wenn ich mich erst wieder einlaufen muss. Ich möchte heute nach Furelos, wo mein kleiner spanischer Führer behauptet, da sei eine Herberge. Doch im ganzen Ort kein Hinweis. Ich komme an die Kirche — die ist sogar offen!
Zeit für Ruhe, ein Gebet für alle, die auf dem Weg sind, für meine Lieben und Dank für den Schutz und die Hilfe bis hierher. Ich singe mein Lied und dann mache ich mich in dem kleinen Rasthäuschen breit, das gegenüber der Kirche steht. Während ich noch vespere, kommen zwei deutsche Mädchen angelaufen. Gemeinsam machen wir uns auf die letzten Kilometer nach Melide.
Eine lebendige Stadt, schöne Kirche — doch leider Gottesdienst als wir kommen, großer Auflauf: eine Beerdigung anscheinend. Wir schauen, dass wir zur Herberge kommen. Trubel, Chaos — fast übervoll. Vor mir checkt ein junger Engländer ein, bekommt noch ein Bett. Das letzte. Dann sieht der Herbergswirt meinen Riesenpilgerpass, macht sich klar, wie lange ich
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