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Lenke meine Fuesse Herr

Lenke meine Fuesse Herr

Titel: Lenke meine Fuesse Herr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Wittenberg
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einen Bogen, vermeidet die Straße, die schnurstracks in den Ort führt. Hinein in das Dorf, ich suche die Kühle und Stille der Kirche: Die Tür steht zwar offen, den Zugang aber versperrt ein hässliches nagelneues Gitter. Doch auch so: Ein Raum, der Atmosphäre ausstrahlt, vor allem durch das unverputzte Steinmauerwerk, das die Kunst der Maurer vor tausend Jahren offenbart.

    Weiter. In einer offenen Tür steht eine Dame, sieht mich freundlich an und fragt: „Tout seul?!“, und ich bestätige: „Oui, tout seul!“ Nach einigen Schritten dann der Gedanke: Ich bin doch gar nicht alleine! Habe ich in diesem letzten Monat nicht immer wieder gespürt, dass ich nicht alleine bin? Ich nehme mir vor, ab jetzt auf diese Frage zu antworten: „Un pèlerin n’est pas seul!“ Denn ein Pilger ist nicht alleine, auch wenn niemand sichtbar neben ihm hergeht.
    Und dann : Le Mont Joi! Der Berg der Freude! Ein großes Schild: Hier treffen die Via gebennensis und der Pilgerweg von Paris herab zusammen und der Pilger kann den ersten Blick auf Le Puy werfen: das Gegenstück zum Monte Gozo vor Santiago. Doch der Jakobsweg führt nicht hinab ins Tal auf die Stadt mit der markanten Kapelle und der Riesenmadonna zu, sondern schlägt einen weiten Bogen um den Berg herum, kilometerlang an der Autobahn entlang. Ich werde fast von einem Motorradfahrer über den Haufen gefahren, der wie ein Irrer über den Feldweg fegt, mache Rast in einem verluderten Bushäuschen, beobachte Bauern, die Heu aufladen, während ich mich weiterschleppe. Mein Schienbein schmerzt, auch meine Füße protestieren, obwohl ich seit gestern Mittag Sandalen trage.
    Endlich eine alte Brücke: die Loire! Es geht durch Vorstadtsiedlungen, die Sonne brennt, und dann eine endlose Strecke die starkbefahrene Hauptstraße entlang. Da ist ein Krankenhaus, lockt: hier einchecken — mit meinen Füßen und dem Bein nehmen die mich sicher auf — vor allem als Privatpatienten! Doch nein: weiter-erst in die Stadt! Durch Grünanlagen komme ich in die Altstadt, keuche einen Berghoch, stürze mich in eine Bar und schütte einen halben Liter Mineralwasser hinunter. Der Wirt empfiehlt mir das Grand Seminar als Quartier und erklärt mir den Weg. Noch einmal den Berg hoch — ich fühle mich am Ende meiner Kräfte. Da: durch eine enge Gasse, ein Tor, der Eingang. Man hat für zwei Tage ein Einzelzimmer für mich. Ich bin angekommen und habe das erste große Ziel meines Pilgerweges erreicht: Le Puy!

    Eine Dusche, saubere Kleidung: Bald fühle ich mich wieder als Mensch, vor allem, da ich einen Rasttag vor mir habe, den ersten richtigen Ruhetag.
    Mein erster Weg führt mich zur Kathedrale — ein paar Schritte nur vom Tor der Herberge, eine steile, holprig gepflasterte Straße hinauf. Rechter Hand, gegenüber dem Seiteneingang der Kirche ein wohl uralter, verwitterter Steinlöwe — wie viele Hände mögen schon über diesen Stein gestrichen, wie viele Füße ihn als Aufstiegshilfe aufs Pferd benützt haben? Scharen von Betern unter der Leitung von Führern — ich erfahre: Dieses Jahr ist heiliges Jahr in Le Puy, wer heuer zur Schwarzen Madonna pilgert, die verschiedenen Stätten besucht und dort die vorgesehenen Gebete spricht, erhält den „Grand Pardon“. Tiefgläubige Menschen sehe ich, die inbrünstig vor den Altären beten, als ich in die Kathedrale komme.

    Ich bin überwältigt, als ich aus dem Seitenschiff unter die Vierung trete: Mächtiger Raum, harmonisch, voller Atmosphäre! Eine gewaltige Orgel, ein herrlicher moderner Altar — und im anderen Seitenschiff eine wunderschöne Jakobsstatue. Ich setze mich still in eine Bank, lasse die Beter an mir vorüberziehen, hänge meinen Gedanken und Gebeten nach. In der Sakristei wird mir mein Pilgerausweis abgestempelt und man schenkt mir eine echte Jakobsmuschel, durchbohrt, so dass ich sie am Rucksack festbinden kann.
    Ich bringe die Muschel in mein Quartier und mache mich auf den Weg in die Stadt. Ich möchte und muss einkaufen: neue Socken, vielleicht einen ganz dünnen Hüttenschlafsack — und außerdem habe ich Hunger. Ich finde am großen Platz unterhalb der verwinkelten Altstadt tatsächlich ein „Intersport“-Geschäft. Hier kaufe ich neben den Socken auch einen Seidenschlafsack — der wunderschöne Daunenschlafsack, den ich mittrage, ist in den Herbergen einfach zu warm! Doch zurücksenden werde ich ihn nicht, ich will ja noch öfters draußen schlafen. Auch an einem Kurzwarengeschäft komme ich vorbei und kaufe

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