Lenke meine Fuesse Herr
Ich packe und lasse Gerhard laufen: „Ich will dich nicht aufhalten, ich muss langsam machen!“ Außerdem muss und will ich wieder alleine gehen — über eine Woche mit immer dem gleichen Partner...
Als ich zahle, frage ich die Wirtin, ob es unten im Ort eine Bank mit Geldautomaten gäbe: Nein, der nächste sei in Montfaucon, und das seien 30 Kilometer! Das wird eng — ich werde das heute sicher nicht schaffen und habe gerade mal noch knapp 30,00 € in der Tasche. Silvya und Jürn haben das wohl mitgekriegt: Halb schon im Gehen, drückt mir Silvya einen 100-Euro-Schein in die Hand: „Hier, damit du beruhigt langsam gehen kannst. Schick uns das, wenn du zurück bist.“ Ich bin sprachlos und habe Tränen in den Augen. „Ich habe ja nicht mal eure Adresse! Und ihr meine auch nicht!“ Silvya muss ich den Schuldschein förmlich aufdrängen. Als sie dann fort sind, schicke ich erst einmal ein Stoßgebet zum Himmel. Danke!
Kurz nach halb neun mache ich mich doch auf den Weg — es juckt mich in den Füßen weiterzugehen. Und wenn’s nur ein kleines Stück ist: nicht aufgeben, ultreia, immer weiter! Ich gehe langsam und ruhig, bleibe immer wieder stehen, fotografiere, bummle aber nicht. Anfangs ärgert mich mein linker Fuß noch, doch das gibt sich im Laufe des Tages. Es geht weiter auf der alten Bahntrasse. Der Ginster leuchtet. Zwei Pferde am Hang unter mir auf der Weide, dahinter das weite Tal — lieber Gott, hast du eine schöne Welt gemacht! Und es ist schön, alleine zu gehen, schweigend seinen Gedanken nachhängen, schauen, leise singen — ich fühle mich immer wohler.
Nun geht es stetig, doch nicht zu steil aufwärts auf guten Forstwegen. Ein heimeliger Fichtenhochwald, die Kiefern haben aufgehört, ein paar Tannen dazwischen — nur schade, dass eine Motorsäge die Stille stört. Ich bin im Naturpark Pilatusregion angekommen. Die Beschilderung ist hervorragend, immer wieder Hinweisschilder und Höhenangaben, bis ich bei 1204 Metern den Pass erreicht habe. Ich trete aus dem Wald heraus und bin überwältigt von dem Ausblick: Weit nach Norden und Westen endlose Bergketten, runde, steile — herrlich! Ich kann mich nicht sattsehen!
Nun geht es hinab nach Les Sétoux. Das Café lädt ein und ich bestelle bei der liebenswürdigen alten Dame „un grand café au lait“. Der kommt mit einer großen Keks- und Waffelschale und der Aufforderung, kräftig zuzulangen! Ich trage mich in das Goldene Buch ein und zahle zwei Euro, bevor ich herzlich verabschiedet werde. (Les Sétoux war eigentlich das Ziel, das ich mir für heute vorgenommen hatte.)
Es ist schön, alleine zu gehen. Auf und ab, durch Weiler und Wiesen und Wald — und ab und zu ein steiles, steiniges Stück. Viel stiller Hochwald, heimelig dunkel . Der Duft frisch geschlagener Tannen. Die Kuh, die eben auf der Weide ein Kalb zur Welt gebracht hat, ruhig die Nachgeburt ausstößt und frisst und mich dazwischen ansieht und leise muht, als wolle sie sagen: „Hab ich das nicht gut gemacht?!“ Die Männer in dem kleinen Bauernhaus, die ich beim Mittagessen störe: „Ich brauche dringend eine Toilette!“ Und die mich dann ganz interessiert ausfragen: woher und wohin ?, und mir meine Wasserflasche auffüllen. Der Wind, der die Sonnenhitze vergessen macht und immer wieder die herrlichen Ausblicke. Das Gebet am Steinkreuz von 1870. Langsam, ruhig gehen, nicht hetzen.
Ich stelle mich darauf ein, heute endlich einmal draußen zu schlafen, in einem dieser herrlichen Hochwälder — und da bin ich in Montfaucon! Ich widerstehe der Versuchung, die der Wegweiser zum Hotel „Les Platanes“ darstellt, stürze mich auf den Geldautomaten an der Bank, komme in die Touristinformation. Dort gibt mir die nette junge Dame einen Stempel in meinen Pilgerpass und gegen den Obolus von 7,00 € den Schlüssel zur Gîte: Morgen bitte hier in den Briefkasten werfen!
In der Gîte finde ich einen etwas angeberischen Deutschen, der wohl sämtliche Rekorde brechen möchte: Er sei heute 50 Kilometer gelaufen und morgen plane er 60. Er macht sich daran, sich etwas zu kochen, er habe das zwar noch nie gemacht, doch es werde schon was werden — ich biete ihm an, für uns beide etwas zu fabrizieren, doch er lehnt ab. So gehe ich für mich alleine einkaufen. Vorher war ich noch in der Kirche nebenan: Schön — und die Sammlung von Bildern eines Holländers, hier in Frankreich! Ich kaufe eine Karte von Notre Dame de Montfaucon, die ich Pfarrer Danner schicken werde.
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