Lenke meine Fuesse Herr
verkneife ich mir. Da streife ich lieber durch den Kathedralenbereich, entdecke immer neue Details, und plaudere übers Handy mit Silvia. Am Abend suche ich mir ein nettes Lokal und genehmige mir, in einer stillen Seitenstraße im Freien sitzend, eine große Pizza, eine halbe Flasche Wein und viel Wasser. Später noch ein Eis am Dönerstand: Der Wirt hat lange in München gearbeitet, spricht gut deutsch und wir halten ein kleines Schwätzchen. Auf morgen freue ich mich schon: Der Rasttag hat gut getan, ich fühle mich tatendurstig und erwartungsvoll! Gegen elf Uhr liege ich im Bett.
Sonntag, 5. Juni 2005
Le Puy krank
Die Nacht war grausam. Ich hatte alles fertig gemacht, Knopf ans Hemd und das Band am Hut festgenäht, vorgepackt — und dann ereilte mich die Rache der Pharaonen! Dreimal ans Waschbecken gestürzt und gebrochen — schade um die schöne Pizza — ständig am Laufen zur Toilette — und dennoch muss ich am Morgen erst einmal den Slip auswaschen. An einen frühen Aufbruch ist nicht zu denken. Um sieben Uhr dreißig bin ich endlich marschbereit — ich muss ja das Zimmer räumen. Doch beim Frühstück packt mich die Verzweiflung, nachdem ich zweimal in kürzester Zeit fluchtartig die Keramikräume aufsuchen musste. Ich frage eine der Frauen, die im Speisesaal Aufsicht führen, ob ich nicht noch eine Nacht bleiben könne. Die sieht mir an, wie es um mich steht und meint, das ginge auf jeden Fall — ich solle erst einmal in Ruhe frühstücken; sie kümmere sich darum!
Ein älterer Herr gesellt sich zu mir, rät zu Milch, Joghurt und Bananen. Wir sprechen über Religion und Dogmen — er ist der Ansicht, eine Religion ohne Dogma sei wie eine Sprache ohne Grammatik. Als ich aufstehen will, bekomme ich einen grausamen Krampf im Oberschenkel. Nun bietet man mir an, mich ins Krankenhaus zu fahren, doch ich vertraue auf meine homöopathische Apotheke und habe Mühe, die Leute davon zu überzeugen, dass ich alles habe, was ich brauche. Mittlerweile weiß ich, dass ich noch eine Nacht bleiben kann: Da bin ich auch nicht mehr ganz so in Panik.
Während ich noch meinen Kakao schlürfe, komme ich mit zwei deutschen Frauen ins Gespräch, die bis hierher eine Woche gelaufen waren und heute zurückfahren. Wir sprechen über Milch und Kühe und die moderne Landwirtschaft mit ihren Auswüchsen. Endlich wird mein neues Zimmer frei und ich schlafe fast ohne Unterbrechung von zehn Uhr vormittags bis morgens früh um sechs.
Montag, 6. Juni 2005
Le Puy — Saint - Privat-d’Allier 24 km
Es geht mir erheblich besser. Ich packe, nehme gegen die Kreuzschmerzen vom Liegen ein Voltaren und gehe gegen sieben Uhr frühstücken. Der Himmel ist bewölkt, es wird heute wohl nicht zu heiß werden, gut, um auf meinen noch etwas wackligen Beinen eine langsame, nicht allzu lange Tour zu gehen.
Ich schenke eine der beiden Jakobsmuscheln, die ich am Rucksack hängen habe, einer französischen Pilgerin und werde mit einem Küsschen bedankt — stolz zeigt sie ihrer Mitwanderin ihr neues Pilgerattribut. Ein freundlicher Engländer schenkt mir Mineralpulver in Portionsbeuteln: Er braucht sie nicht mehr, da er heute mit der Bahn nach Hause fährt. Er und ein Franzose finden, dass ich zu viel Wasser mitschleppe — ich habe auch das Trinksystem gefüllt. Der Franzose hebt meinen Rucksack und ruft: „Trop lourd!!“ Doch ich habe dies Gewicht schon so lange getragen, dass ich glaube, damit zurecht zu kommen.
Als ich aus der Türe des „Grand Seminar“ trete, fängt es an, zu regnen. Also absatteln, Poncho raus, Regenüberzug übers Gepäck — und als ich vor der Kathedrale stehe, ist der Regen wieder vorbei. Zwei Pilgerinnen, rundlich, kurzbeinig, hoch bepackt, kennen anscheinend den Weg aus der Stadt — ich folge einfach. Es geht endlos bergauf — ein herrlicher Blick zurück über die Stadt — vor und hinter mir eine ganze Karawane. Eine große Jakobsstatue, ein Kilometerschild nach Santiago — und ein knapper Kilometer weiter das nächste — nur sind es da angeblich über zweihundert Kilometer weiter! Ich traue keinem Kilometerstein mehr! Der Konvoi zieht sich auseinander, doch in La Roche sammelt sich alles wieder: Es geht dort außen an der Stadtmauer entlang, links geht es steil hinab ins Tal, und dann ist da ein kleiner Stand, an dem ein junges Mädchen gegen freiwilligen Obolus Trinkbares anbietet. Willkommener Anlass, eine kurze Pause zu machen. Die Kirche in Saint-Christophe ist beeindruckend — und der Hund, der das
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