Lenke meine Fuesse Herr
Holzsachen — soll ich mir einen Bollerwagen kaufen für meinen Rucksack?! Herrlich friedliche Wege, Rast am Waldrand, — wenn mir nur mein rechtes Bein nicht solche Sorgen machte! Endlich finde ich einen schönen Platz zum Siestamachen und komme auf den Gedanken, mein Bein mit einem feuchten Umschlag zu kühlen — das tut gut. Der Muskel neben dem Schienbein ist dick geschwollen! Ich schlafe fast eine Stunde.
Eine herrliche Allee, eine ganze Herde Ziegen auf einer Weide, ein Hofladen, in dem ich köstlichen Ziegenkäse einkaufe. Ehe ich mich versehe, bin ich in Saint Jeures. Natürlich erst einmal in die Kirche: still, schön, beeindruckend — und als ich wieder herauskomme, sind da Silvya und Jürn! Ich freue mich riesig, sie wiederzusehen. Sie gehen noch in die Kirche, nachdem ich ihnen mein Pilgerlied aufgeschrieben habe. Am Ortsausgang dann der Blick auf die beiden Vulkankegel — ich kann nicht anders: Mich erinnern sie an die weibliche Anatomie! Bin ich vielleicht schon zu lange von zuhause weg?
Dann: Araules — und als ich von der Kirche auf den Dorfplatz komme, sind da die beiden Schweizer wieder, todtraurig: Sie haben ihre Pilgerpässe verloren! Nochmals ein herzlicher Abschied. Weiter bergauf, eine endlose Asphaltstraße hoch durch den Wald, und als ich oben bin, kommen sie wieder angestiefelt. Silvya hat Schwierigkeiten mit dem Knie, Jürn mit dem Schienbein. Ich lasse sie vorangehen und stapfe langsam weiter: Mein Bein schmerzt.
Bei La Banque die höchste Stelle: 1280 Meter. Herrliche Aussicht! Alle Wege steil hinab jetzt, ein Brunnen, an dem ich mein Bein kühlen kann und meine Wasserflasche auffülle. Ein kleiner Ort, in dem ich mich kurz verlaufe. Es wird Abend, die Sonne sinkt. Ich komme in die Schlucht bei der Moulin de Guérin. Ruhebänke, Picknicktische, kurz geschnittener Rasen: Ideal zum Lagern. Endlich einmal draußen schlafen! Ich esse noch ein bisschen Brot und Wurst, trinke ein paar Schlucke Wasser, dann schlüpfe ich in den Schlafsack und schlafe fest.
Freitag, 3. Juni 2005
Moulin de Guérin – Le Puy 31 km
Ich habe geschlafen wie in Abrahams Schoß heute Nacht, bin nur ein, zweimal aufgewacht und habe den hier in 1000 Metern Höhe herrlich klaren Sternenhimmel betrachtet — seit meiner Kindheit habe ich die Sterne bestimmt nicht mehr so groß und deutlich gesehen, das leuchtende Band der Milchstraße, den milden Schein vor dem samtenen Schwarzblau des Himmels. Wunderbar! Doch um fünf hat mich etwas Anderes geweckt: Ein deutliches, suchendes Schnüffeln — und als ich die Augen aufschlage, sehe ich mich einem großen Fuchs gegenüber, der mich ebenso überrascht und neugierig ansieht wie ich ihn. Sekundenlang sehen wir uns in die Augen, dann dreht der Rotpelz gemächlich ab und trollt sich lautlos. Der Morgen graut und ich mache mich langsam marschbereit, wasche mich im herrlich kalten Bach und vertilge Brot und Wurst zu einem Becher Wasser.
Ich bin frisch und ausgeruht und stiefle frohgemut los. Wieder auf und ab, durch malerische Hohlwege — schön in der Morgenfrische! Und dann, jenseits des Tales hoch oben auf dem Berg Saint-Julien-de-Capteul. Herrlich die Kirche, die da wie eine Burg über Land und Ort thront. An langsam erwachenden Höfen und Häusern vorbei mühsamer Aufstieg zum Kirchenanger und dann sitze ich auf der Mauer, über dem Hang, lasse die Beine baumeln und telefoniere mit Silvia. Es ist schön, ihre Stimme zu hören: Sie fehlt mir mehr, als ich es erwartet habe.
In die Kirche — ein Dankgebet für die Nacht — herrlich der Raum! Doch langsam fühle ich, dass ich nicht mehr so intensiv aufnehmen kann — ich schaue nur, spüre Atmosphäre — doch das kunsthistorische Interesse beginnt, zu erlahmen. Heute bin ich einen Monat unterwegs, und jeden Tag Neues!
Jetzt knurrt mein Magen — und meine Gedärme kollern! Ein Café — und hier das erste südeuropäische Hock-Klo, das ich seit meinem ersten Italienurlaub Ende der sechziger Jahre sehe. Doch eigentlich eine recht hygienische Angelegenheit. Ich trinke Kaffee, kaufe ein paar Ansichtskarten und frage einen Gast, wieso die Straßenschilder hier zweisprachig seien? Das ist Okzitan, erklärt er mir, ich höre Stolz heraus und jetzt fällt mir auf, wieviel rauer und weniger nasal die Leute hier sprechen als noch an der Schweizer Grenze.
Weiter. Es geht über einen niedrigen Bergrücken in ein weites Tal, durch Felder und Wiesen. Vor mir der markante Turm von Saint-Germain-Laprade. Der Weg schlägt
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