Lennox 01 - Lennox
Wahrscheinlich rührte diese Tatkraft vom jahrhundertelangen Kampf gegen das Meer her. Ich mochte die Holländer. Ich hoffte nur, der Dicke raubte mir jetzt nicht sämtliche Illusionen.
»Warum legen Sie und Ihr Mohr nicht die Waffen weg, Tulpenficker? Dann werde ich so komisch sein, dass Sie sich totlachen.« Leider fiel mir nichts Besseres ein als »Tulpenficker«. Es ist schwer, einen Holländer zu beleidigen, und ich hatte zwei Tage darüber nachgegrübelt. Er reagierte gar nicht darauf. »Also sind Sie De Jong?«, fragte ich. Wieder keine Antwort. Aber ich merkte ihm an, er hatte nicht damit gerechnet, dass ich seinen Namen kannte. »Einstiger Kollaborateur der Nazis und Angehöriger der SS-Freiwilligen-Grenadier-Brigade ›Nederland‹. Liege ich richtig?«
De Jong machte ein finsteres Gesicht. Ich hatte ins Schwarze getroffen. Nun versuchte er zu ergründen, woher ich so viel über ihn wusste. In Wahrheit hatte ich bloß geraten, weil er gesagt hatte, er kenne sich mit Genickschüssen aus: Es hatte nicht genügend begeisterte holländische Kollaborateure gegeben, um mehr als eine SS-Brigade zu bilden. Doch seine Neugier verschaffte mir vielleicht noch eine Atempause.
»Nach oben!«, befahl De Jong und wies mit einer Kopfbewegung auf die Stahltreppe.
Als ich nach oben kam, warteten dort drei Personen: Lillian Andrews, der Offizierstyp und ein Mann, den ich noch nie gesehen hatte. Doch der Zustand seines Gesichts hätte es mir ohnehin nahezu unmöglich gemacht, ihn zu erkennen. Er war blond und hatte abstehende Ohren, mehr konnte man nicht sehen: Seine Nase und sein Kiefer waren unter Verbänden verborgen, und was sich von seinem Gesicht erkennen ließ, war dunkelrot angeschwollen. Der Mann hielt eine abgesägte Schrotflinte in den Armen.
Der Holländer stellte eine große Armeereisetasche aus Segeltuch auf den Boden. »Hier ist es«, sagte er. »Die Hälfte der vereinbarten Summe. Ich habe die Ware begutachtet und bin zufrieden.«
»Was geht hier vor?«, fragte der Blonde mit den Verbänden. Er sah mich unter geschwollenen Augenlidern hinweg an. Ich hatte ihn zwar noch nie gesehen, aber seine Stimme hatte ich schon gehört.
»Hübsche Arbeit, McGahern. Zumindest wird es so sein, wenn das Gesicht abgeheilt ist. Schade wegen der Ohren ...«, sagte ich. »Oder gehört Radar mit zum Paket?«
McGahern wusste meine kritische Meinung eindeutig nicht so sehr zu würdigen, wie ich gehofft hatte. Er ignorierte mich und schaute wieder den Holländer an.
»Ich sage Ihnen, was hier los ist«, erklärte De Jong. »Ihre Sicherheitsmaßnahmen taugen nichts. Wir haben den Kerl unten dabei erwischt, wie er an den Warenproben schnüffelte.«
McGahern riss die Schrotflinte hoch und knallte mir die Läufe ins Gesicht. Meine Wange platzte auf, und ich ging zu Boden. Mir war, als hätte all der Schmerz in meinem Kopf nur geschlafen, und der Schlag ins Gesicht hätte ihn aufgeweckt. Ich blieb liegen, doch der Araber packte mich unter den Armen und stellte mich auf die Beine.
»Das ist für die Scheiße draußen vor dem Horsehead«, sagte McGahern zu mir.
Ich drückte mir den Handrücken auf die blutende Wange und vergewisserte mich, dass mein Kiefer noch arbeitete. Dabei musterte ich McGahern. Soweit ich es durch die Verbände sehen konnte, war die gesamte Architektur seines Gesichtes verändert worden. Sogar seine Lippen waren voller. Doch den Ausdruck der Augen eines Menschen zu ändern, ist schwierig, und ich bemerkte das gleiche rattenhafte Starren wie bei unserer ersten Begegnung.
»Woher weiß er so viel über mich?«, fragte der Holländer. »Meinen Namen, meine Vorgeschichte.«
McGahern blickte mich an; dann schüttelte er den Kopf. »Er weiß überhaupt nichts. Knallen wir ihn ab.«
»Ich weiß alles«, sagte ich. »Oder fast alles. Ich weiß von Mijnheer De Jong und seinen beiden arabischen Kumpels. Das heißt, jetzt hat er nur noch einen. Dem anderen habe ich zu einem Berufswechsel verholfen. Er bewirbt sich gerade um einen Job als Chefeunuch. Und ich weiß alles über das kleine Exportgeschäft, das Sie ein Jahr lang betrieben haben. Die Ladungen nach Akaba. Ich weiß von Parks und Smails.« Ich wandte mich wieder dem Holländer zu. »Das war Ihr Werk, nicht wahr? Oder genauer, es war der Wüstensohn hier, der das getan hat ... oder sein Vetter, bevor er ins Sopranfach wechselte. Sie bekamen Panik, als McGahern John Andrews ermordete und Lillian daraufhin von der Bildfläche verschwand. Sie wussten, dass
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