Lennox 02 - Lennox Rückkehr
und hin und wieder hörte wir eine schrille, durchdringende Frauenstimme. Der Stall war zwar nicht gerammelt voll, aber die Leute drängten sich Schulter an Schulter in einem Kreis um eine erhöhte Plattform, auf der zwei muskelbepackte Männer einander gegenseitig den Verstand herausprügelten. Beide waren bis zur Taille nackt, trugen aber kein Sportzeug, sondern gewöhnliche Hosen und Straßenschuhe. Und sie trugen keine Boxhandschuhe.
Nett, dachte ich. Ein Kampf mit bloßen Fäusten. Keine Konzession, keine lästige Boxaufsicht, auf die man Rücksicht nehmen muss – illegal. Und öfter als nur hin und wieder tödlich. Ich habe nie wirklich begriffen, wieso ausgerechnet in Westschottland jemand Geld bezahlt, damit er sich einen Boxkampf mit bloßen Fäusten ansehen darf. Besonders in Glasgow erschien es mir so überflüssig, als würde man mitten in einer Orgie eines der Mädchen um ein Rendezvous bitten.
Twinkletoes legte mir die Hand auf die Schulter. Ich ging unter dem Gewicht fast in die Knie. »Mr. Sneddon sagt, wir sollen Sie was zu trinken geben und Ihnen ausrichten, Sie sollen warten, bis er fertig ist.«
Ein Mädchen um die zwanzig mit zu viel Lippenstift und zu wenig Rock stand hinter dem mit Kreppstoff bedeckten Tapeziertisch, der als Theke diente. Es überraschte mich wenig, dass sie keinen Canadian Club hatten, und der Scotch, den ich mir stattdessen geben ließ, wirkte auf meine Mundschleimhaut wie Abbeizer auf einen Ölanstrich. Ich drehte mich zu dem Kampf um und musterte das Publikum. Die meisten Männer trugen Abendanzüge, und die Frauen waren alle zu jung für sie, aufgedonnert und definitiv kein Ehematerial. Das Aussehen der Männer drehte mir den Magen um – diese rosafarbenen, geschrubbten, fleischigen Gesichter von Buchhaltern, Anwälten und anderen Berufen der Glasgower unteren Mittelschicht, die sich unter das gemeine Volk stürzten. Auf einer Busreise in die Verworfenheit. Wahrscheinlich war mehr als ein Vorstandsmitglied der großen Glasgower Firmen dabei, und die ein, zwei Bullen unter ihnen kamen garantiert auf Sneddons persönliche Einladung. In die schweiß- und schnapsgeschwängerte Luft mischte sich der Gestank von Käuflichkeit.
Das Jubeln der Menge zog meine Aufmerksamkeit wieder auf die Kämpfer. Ich habe nichts gegen Boxkämpfe, aber was ich hier sah, hatte mit Sport nichts zu tun. Es war keine Technik erforderlich, nur die Fähigkeit, dem Gegner mithilfe von Gesicht und Schädel die Fingerknöchel zu brechen. Die Fratzen der beiden Kontrahenten ähnelten einander wie Spiegelbilder: die weiße Haut gerötet und geschwollen und mit Spucke, Schweiß und Blut verschmiert; die Augen zu Schlitzen zusammengekniffen, das Haar vom Schweiß an die Kopfhaut geklebt. Und beide Gesichter waren völlig ausdruckslos. Weder Angst noch Wut oder Hass waren zu sehen, nur die emotionslose Konzentration von zwei Männern bei der harten körperlichen Arbeit, ein anderes menschliches Wesen zu Brei zu schlagen. Jeder Treffer klang wie ein feuchtes Klatschen oder wie ein hässlicher, dumpfer Knall. Keiner der beiden Männer bemühte sich, die Schläge des Gegners abzublocken; hier ging es nur darum, aufeinander einzuprügeln, bis einer umfiel und nicht mehr hochkam. Beide Kämpfer wirkten erschöpft. Beim Faustkampf ohne Handschuhe gibt es keine Runden, keine Pausen zum Ausruhen oder zur Erholung. Wer zu Boden geht, dem bleiben dreißig Sekunden, um wieder aufzustehen und an den »Start« zurückzukehren, die ins Holz geritzte Linie in der Mitte des Rings.
Ein Faustkampf hat etwas an sich, das einen gefangen nimmt, ob man will oder nicht. Ich bemerkte, wie mich die Brutalität auf der erhöhten Plattform in den Bann schlug. Die Kämpfer schienen sich nicht bewusst zu sein, was rings um sie vorging. Wahrscheinlich wussten sie nicht einmal mehr, was vorher gewesen war und was später sein würde. Ich kannte diesen Zustand aus dem Krieg. Im Gefecht hat man keine Vergangenheit, keine Geschichte, keine Zukunft und keine Verbindung zur Welt ringsum. Man besitzt nicht einmal eine Verbindung zu den Männern, die man auf jede menschenmögliche Weise tötet. Bei den beiden Faustkämpfern bemerkte ich die gleiche Entrückung. Einer war etwas kleiner, aber stämmiger als der andere. Das Blut, das ihm aus der Nase rann, hatte er mit dem Handrücken über Oberlippe und Wange verschmiert, und ein geschwollenes Lid färbte sich langsam purpurn und drohte, sich über dem Auge zu schließen. Wie es aussah, war
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