Lennox 03 - Der dunkle Schlaf
komplizierter.
Wenn ich es mir recht überlegte, war es schon ironisch, dass ich nun in der Frage ermittelte, wie es jemand geschafft hatte, genau die Situation zu beobachten, die ich regelmäßig in Szene setzte. Nur dass es diesmal um Mr. X und Mr . Y ging, von denen aber immerhin keiner an der Trickserei beteiligt war.
Gegen Abend hatte ich alles erledigt, was zu erledigen war. Jetzt hatte ich nur noch drei Dinge zu tun: den morgigen Transport der Löhne, Isas und Violets Auftrag und den Fall John Macready. Zusammen würden sie meine gesamte Zeit beanspruchen.
Ich rief ein paar Leute an, die sich in der Unterwelt auskannten, und fragte sie, ob sie von einem Henry Williamson gehört hätten. Keiner sagte ja. Ich weiß nicht, wieso mir dieser Name auf der Liste stärker ins Auge sprang als die anderen. Vielleicht lag es daran, dass er mit Gentleman Joe Strachans Dienstakte im Ersten Weltkrieg zusammenhing. Warum sollten seine Töchter glauben, Strachan wäre ein Kriegsheld gewesen, wenn man ihn laut Jock Ferguson ihn Wirklichkeit fast mit dem Rücken zur Wand gestellt hätte?
Gegen sieben Uhr kam ich zu meiner Bleibe, nachdem ich auf dem Heimweg bei Rosselli gegessen hatte, wie ich es oft tat. Ich hatte den oberen Stock einer großen Villa an der Great Western Road gemietet. Das Haus war eigentlich für eine Familie bestimmt und aufgeteilt worden, und Mrs. White, meine Vermieterin, wohnte mit ihren Töchtern Elspeth und Margaret im Erdgeschoss.
Mrs. White – Fiona White – war eine sehr attraktive Frau. Sie haute einen vielleicht nicht um wie die zum Fürchten hübsche Leonora Bryson, aber sie war schön, wenn auch auf eine verhärmte, müde Art. Sie hatte helle grüne Augen, die das Potenzial zum Funkeln hatten – es jedoch nie ausschöpften –, über Jochbeinen wie von Kate Hepburn. Ihr Haar war dunkel und konservativ frisiert, und sie kleidete sich mit Geschmack, aber ohne Fantasie. Der Grund, weshalb Mrs. White immer sorgenvoll und abgespannt aussah, lag in einem unglücklichen kurzen Zusammentreffen zwischen einem deutschen Torpedo und einem britischen Zerstörer im Krieg, bei dem der Zerstörer auf den Grund des Atlantiks gesunken war und bis auf eine Hand voll Überlebende die gesamte Besatzung mit in die Tiefe gerissen hatte.
Als ich in meine Bleibe eingezogen war, war es mir vorgekommen, als wartete die Familie White noch immer, dass der Ehemann und Vater aus dem Krieg heimkehrte, ohne sich über die Verzögerung aufzuregen, so wie die Briten eben sind. Doch Lieutenant George White schlief einen noch tieferen und dunkleren Schlaf als Gentleman Joe Strachan; er würde nie wieder nach Hause kommen.
Ich fühlte mich in meiner Bleibe wohl, nur hatte ich kein einziges Mal einen weiblichen Gast hierher gebracht. Die Wohnung war teuer, aber ich fühlte mich der kleinen Familie White verbunden. Vor allem aber sehnte ich mich seit Langem danach, mit Fiona White im biblischen Sinne verbunden zu sein. Die Anziehung, das wusste ich, beruhte auf Gegenseitigkeit, aber sie gestand es sich nur widerwillig ein. Nennen Sie mich ruhig pingelig, aber wenn eine Frau vor Selbstabscheu nicht aus noch ein weiß, weil sie sich zu mir hingezogen fühlt, dann haut mir das durchaus eine Beule ins Ego. Vor allem aber, und das konnte ich mir gar nicht erklären, entlockte mir Fiona White immer wieder ein gewisses Maß an Ritterlichkeit. Das war höchst ungewöhnlich, weil sich meine Ritterlichkeit im Allgemeinen darauf beschränkte, die junge Dame noch einmal nach ihrem Namen zu fragen, ehe wir auf dem Rücksitz meines Austin Atlantics mit allerlei schlüpfrigen Dingen begannen. An mir war eine ganze Menge ziemlich kompliziert, aber nicht mein Verhältnis zu Frauen. Oder vielleicht gerade doch.
Ich stellte fest, dass ich jedes Mal, wenn ich Fiona White betrachtete, etwas empfand, das andere Frauen nicht in mir weckten. Ich wollte sie beschützen, mit ihr reden. Einfach bei ihr sein. Zusehen, wie sie lachte. Eigentümliche Gefühle, die nicht unbedingt etwas mit dem Öffnen meines Hosenschlitzes zu tun hatten.
Vielleicht ein wenig unvorsichtig hatte ich ihr meine Gefühle offenbart. Ich war in besonders sentimentaler Stimmung gewesen, hatte gerade eine große Summe Geld weggegeben – ein Vorgang, bei dem mir auch in meinen besten Momenten leicht die Tränen kommen –, ohne besonderen Grund, außer dass ich der Meinung gewesen war, der Empfänger verdiene es mehr als ich. Daher hatte ich meine schimmernde Rüstung
Weitere Kostenlose Bücher