Lennox 03 - Der dunkle Schlaf
bin Lennox«, antwortete ich und konnte es mir gerade noch so verkneifen hinzuzufügen: Und Ihr Sklave auf ewig.
»Ich bin Leonora Bryson, Mr. Macreadys Assistentin.«
»Hat der ein Schwein …« Ich zeigte ein Lächeln, das ein Wolf für ungeschlacht gehalten hätte, und kämpfte mich aus dem roten Ledersessel hoch.
»Folgen Sie mir, Mr. Lennox«, sagte sie und machte auf dem Absatz kehrt. Sie ließ es klingen wie einen Befehl, doch in Wahrheit konnte ihr zu folgen leicht zu meinem zweitliebsten Zeitvertreib werden. Ihre schlanke Taille bildete mit ihrem Po und ihren Schultern eine perfekte Sanduhr, und mir kam es vor, als bliebe nicht nur die Zeit stehen, sondern auch mein Atem und mein Herz. Als wir den Aufzug erreichten und der Fahrstuhlführer das Türgatter öffnete, damit wir einsteigen konnten, war ich enttäuscht, dass die Verfolgungsnummer schon zu Ende war.
Der Fahrstuhlführer war ein krummer kleiner Glasgower mit einem verschlossenen, sauertöpfischen Gesicht, aber als Miss Bryson in die Kabine stieg, sah er mir einen Sekundenbruchteil in die Augen. Oh ja, Bruder, ich weiß, dachte ich, als wir den Blick tauschten, ich weiß.
Wir stiegen aus, und sie führte mich durch ein Labyrinth von Korridoren mit teurer Holztäfelung. Ich machte mir keine Sorgen, ob ich den Rückweg finden würde; ich bräuchte nur die Sabberspur zurückzuverfolgen, die ich hinterließ. Die Türen, an denen wir vorbeigingen, lagen so weit auseinander, dass man sofort merkte, dass sie zu Suiten führten und nicht zu einfachen Zimmern. Miss Bryson blieb vor einem dieser Portale stehen und drückte hundert Pfund Eichenholz auf, ohne anzuklopfen.
Wir traten in einen Raum, der so groß war, dass man nur anderthalb Meilen Luftlinie entfernt drei Familien darin untergebracht hätte. An Glasgow fiel mir diese Tatsache immer wieder besonders auf: Man fand nicht nur, wie in jeder Stadt, eine gewaltige Kluft zwischen Arm und Reich, Glasgow schien sie mit besonderem Lärm und roher Gewalt absichtlich weiter aufzureißen. Reichtum wurde hier unbritisch unverfroren und großtuerisch zur Schau gestellt, als versuchte man, die ohrenbetäubende Armut ringsum niederzubrüllen. Ich war kein Roter, aber trotz Onkel Clems sehr britischer Wohlfahrtsrevolution nach dem Krieg herrschte eine große Ungerechtigkeit, die mir manchmal ganz schön zusetzte.
Im Wohnzimmer der Suite sah ich zwei Schlägertypen: kräftige Burschen mit grellen Anzügen, noch grelleren Hemden und Bürstenschnitten im Stil des U. S. Marine Corps – offenbar die Leibwächter, die das Studio geschickt hatte. In Glasgow wirkten sie so fehl am Platz, wie es überhaupt möglich war, und ich hätte eidlich bezeugt, dass ich dabei zusehen konnte, wie ihre kalifornische Sonnenbräune von Minute zu Minute blasser wurde. Ein Mann, der genauso groß und breitschultrig wie die Gorillas war, stand auf, als wir eintraten. In einem ruhigen und freundlichen, aber befehlsgewohnten Ton bat er die Schlägertypen, uns allein zu lassen. Meine nordische Eisprinzessin führte sie hinaus.
»Mr. Lennox?« John Macready knipste das Hundertwattlächeln an, das mir schon von seiner Pressefotografie entgegengestrahlt hatte. Ich schüttelte ihm die Hand. »Bitte nehmen Sie Platz«, sagte er. »Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?«
Ich erwiderte, ein Scotch wäre prima, ein Bourbon noch besser.
»Ich wusste nicht, dass Sie Amerikaner sind, Mr. Lennox.«
»Bin ich auch nicht. Ich bin Kanadier. Mir ist Roggenwhiskey nur einfach lieber.«
Er reichte mir einen handgelenkschädlichen Klotz aus Kristallglas, gefüllt mit Eis und Whiskey.
»Kanadier? So ist das also … ich konnte Ihren Akzent nicht einordnen.« Macready nahm mir gegenüber Platz. Er war bis an die Grenze der Künstlichkeit makellos gebräunt, gekleidet, frisiert und manikürt; ein unwirklicher Anblick, der von dem Umstand vervollständigt wurde, dass Macready außerordentlich gut aussah. Er blendete sein Lächeln ein bisschen ab. »Ich weiß, dass Mr. Fraser Sie engagiert hat. Ich gehe davon aus, dass er Ihnen alles gesagt hat.«
»Alles, was ich über die Erpressung wissen muss, falls Sie das meinen, Mr. Macready.«
»Und die Fotografien? Hat er sie Ihnen gezeigt?«
»Das musste er wohl.«
Ohne die Spur von Verlegenheit hielt Macready meinem Blick stand. »Ich nehme an, Ihnen ist klar, was es für meine Karriere bedeuten könnte, wenn diese Fotografien an die Öffentlichkeit kämen?«
»Nicht nur für Ihre Karriere. Die Bilder
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