Lennox 03 - Der dunkle Schlaf
verstößt.«
»Es geht doch nichts über die Pressefreiheit«, erwiderte Macready übertrieben ironisch und hob das Glas zum Mund.
»Tja, am Ende sind Sie dafür vielleicht noch dankbar.«
»Aber sollten wir nicht gerade deswegen den, wie sagten Sie: anderen in Kenntnis setzen? Auf diese Weise können wir dem Ganzen vielleicht Einhalt gebieten, ehe es richtig losgeht.«
»Ich finde, wir sollten unser Pulver nicht vorschnell verschießen und uns diese Möglichkeit als Gegenmaßnahme aufsparen. Es wäre ein Glücksspiel: Möglicherweise käme die Regierung zu dem Schluss, die Sache wäre einfach nicht wichtig genug, um eine D-Notice zu erlassen. In dem Fall wäre er genauso gefickt wie wir.« Der Ausdruck war mir über die Lippen gekommen, ehe ich darüber hatte nachdenken können, doch Macready reagierte nicht darauf. Ich nahm wieder einen Schluck Bourbon, und irgendwo tief in meiner Brust entfachte ein glimmendes Scheit.
»Was ist überhaupt so wichtig an Iain?«, fragte Macready. Zum ersten Mal bekam der andere Beteiligte einen Namen. »Ich wusste, dass er irgend so ein Adelsspross ist, aber mir war nicht klar, dass er so gute Beziehungen hat …«
»Sein Vater ist einer der großen Herzöge hier oben. Und er ist um wer weiß wie viele Ecken ein Cousin der Queen. Die Mutter der Königin ist Schottin, müssen Sie wissen. Dadurch ist er, ganz gleich, an welcher nachrangigen Stelle, ein Mitglied des Königshauses. Und das Königshaus bedeutet hier eine Menge, Mr. Macready. Es ist ein Symbol. Es ist komisch, ich untersuche gerade einen anderen Fall, der bis ins Jahr 1938 zurückreicht, als es hier in Glasgow eine große Ausstellung gab, mit der das Empire gefeiert wurde. Nun, das Empire ist untergegangen, aber die Monarchie wurde dadurch umso bedeutender. Wir Kanadier klammern uns an sie, um zu zeigen, dass wir keine US-Amerikaner sind. Noch. Die Briten klammern sich daran, weil die Monarchie alles ist, was ihnen von der großen Vergangenheit geblieben ist. Wenn die Briten ihre Monarchie verlieren, müssen sie sich dem stellen, was sie am meisten fürchten.«
»Und das wäre?«
»Der Zukunft. Oder zumindest den Realitäten der Gegenwart. Das britische Königshaus hat sich rasch zu einem Nationalheiligtum entwickelt, wie Stonehenge. Und genau wie Stonehenge dient es keinem Zweck mehr, aber ist hübsch anzuschauen und erlaubt jedem, sich in der Vergangenheit zu verlieren. Und Sie, Mr. Macready, haben gerade an eine der Steine von Stonehenge gepinkelt; so wird man das hier sehen. Deshalb rate ich Ihnen, diesen Iain so lange aus der Sache herauszuhalten, wie es nur geht. Es könnte sein, dass man Sie ansonsten den Wölfen zum Fraß vorwirft.«
»Okay. Aber was tun wir jetzt?«
»Ich versuche, den Kerl zu finden, der die Bilder gemacht hat, und werde meinen gesamten Charme einsetzen, um ihn auf unsere Seite zu ziehen und an die Negative zu kommen. Aber vorher muss ich Ihnen ein paar Fragen stellen …«
Und das tat ich dann.
***
Nachdem wir fertig waren, führte mich Leonora Bryson zurück zum Lift. Ich startete den unvermeidlichen Annäherungsversuch, von dem wir beide erwarteten, dass ich ihn machen würde, doch sie entgegnete mir, sie sei beschäftigt, und sie tat das auf eine Weise, die mir zu verstehen gab, dass sie für den Rest des Jahrhunderts keine Zeit hätte. Unbeirrt erwiderte ich mein bestes philosophisches Dann-ein-andermal, entschied aber, die Flinte noch nicht ins Korn zu werfen. Manche Frauen waren größere Anstrengungen wert als andere. Und mir blieben noch drei Wochen.
5
Ich ging für zwei Stunden zurück in mein Büro und versuchte, ein paar Scheidungsfälle abzuschließen, die mich noch beschäftigten. Hauptsächlich war es Papierkram: die traurige, schäbige Bürokratie der Entschlingung einer Ehe. Oder außereheliche Umschlingung. Oder beides. Ich ging die üblichen Aussagen durch, in denen der Hoteldirektor, das Zimmermädchen oder sonst jemand bezeugte, dass er Mr. X mit Miss Y im Bett gesehen habe. Natürlich war die Situation wie immer fingiert – ich tat das im Auftrag eines Scheidungsanwalts –, und die Zeugen waren wie immer zwanzig Pfund reicher, nachdem sie ihre Aussage unterzeichnet hatten. In Großbritannien ist eine Scheidung schwierig und gilt als besonders zwielichtiges Geschäft. In Schottland, das ein eigenes Scheidungsrecht besitzt, dreht das Presbyterianertum auf genau die Weise, über die ich mit Macready gesprochen hatte, am Rädchen und macht alles noch
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