Lennox 03 - Der dunkle Schlaf
tausend Grad fiel.
»Nein, nein …« Ich hob die Hände. »Verstehen Sie mich nicht falsch … Bei dem Nebel und allem … mein Büro ist gleich auf der anderen Straßenseite, da habe ich mich gefragt, ob Sie vielleicht einen Sonderpreis für mich herausschlagen können. Nur für heute Nacht. Für meinen Geschmack ist es hier ein bisschen teuer, aber was sein muss, muss …«
Sie musterte mich mit ihren gletscherblauen Augen, und einen Augenblick lang schlug ich die Zeit damit tot, dass ich darüber nachdachte, was Rheintöchter und Walküren in Walhalla wohl die ganze Zeit so trieben. Sie schien zu einer Entscheidung zu kommen.
»Ich hätte einen besseren Vorschlag«, sagte sie. »Wir haben am Ende unseres Korridors ein unbenutztes Zimmer. Es gehörte einem Studiodirektor, aber er musste früher nach Hause. Wir haben es weiter reserviert für den Fall, dass wir es brauchen. Heute Nacht ist es wohl so.«
»Natürlich zahle ich –«
»Nicht nötig.« Sie zog eine lange dünne Zigarette einer Marke, von der ich noch nie gehört hatte, aus einem eigens dafür angefertigten silbernen Etui. In dem Augenblick, in dem der Filter ihre Lippen berührte, gab ich ihr Feuer. Sie zog und nickte dankend, um der Höflichkeit Genüge zu tun. »Wir bezahlen es, ob Sie es benutzen oder nicht. Und überhaupt, Sie arbeiten schließlich für Mr. Macready. Nur heute Nacht?«
»Nur heute Nacht.«
»Wäre sonst noch etwas, Mr. Lennox?« Stirnrunzelnd sah sie mich über ihr Glas hinweg an, als beeinträchtigte ich mit meiner Anwesenheit den Genuss ihres Daiquiris.
»Ja, da wäre tatsächlich noch etwas. Wie viel wissen Sie über den Grund, weshalb das Studio mich beschäftigt? Über Mr. Macreadys Situation?«
»Alles«, sagte sie reglos. »Ich bin Mr. Macreadys persönliche Assistentin. Um meine Arbeit erledigen zu können, muss ich alles wissen, was vorgeht, gut oder schlecht. Über mich tritt Mr. Macready mit jedem und allem ringsum in Kontakt.«
Ich hätte fast erwidert, dass er sich sehr gut selbst auf die Aufnahme von Kontakten verstehe, aber ich verbiss es mir. »Wussten Sie vor diesem Zwischenfall von seinem Geschmack?«
»Selbstverständlich.« Jetzt war sie ein wenig trotzig. Und verstimmt.
»Wo waren Sie, als Macready mit seinem Freund im Gartenhaus zugange war?«
»Ich war im Hotel. Nicht diesem hier … einem Hotel im Norden. Hoch oben, an dem großen See. Wir waren für Außenaufnahmen dort.«
»Und Macready gab Ihnen den Abend frei?«
»Das ist richtig. Er war in der Hotelbar und trank mit Iain.«
»Als ich ihn danach fragte, sagte er, es wäre eine spontane Entscheidung gewesen, ins Gartenhaus zu gehen.«
»Das hat er mir auch gesagt«, erwiderte sie und bedachte mich erneut mit ihrem blauen Gletscherblick. »Iains Familie gehört das Gut, auf dem wir drehten, und Iain benutzt das Gartenhaus hin und wieder. Er malt, müssen Sie wissen. Ein Künstler.« Sie sprach das Wort abschätzig aus. »Mr. Macready sagt, Iain habe vorgeschlagen, in das Gartenhaus zu gehen, um dort weiterzutrinken.«
»Aber als Hotelgast konnte Macready doch Getränke auch nach der Sperrstunde bestellen …«
Leonora Bryson zuckte mit den Achseln. »Ich bezweifle, ob auch nur einer von beiden ans Trinken gedacht hat. Warum ist das so wichtig?«
»Haben Sie die Fotografien gesehen?«
Ganz kurz war sie empört, dann zog der Sturm vorüber. »Nein, Mr. Lennox, das habe ich nicht.«
»Ich schon. Ich musste sie mir ansehen. Sie sind mit einer Art versteckter Kamera aufgenommen worden, die sich in einem Hohlraum in der Wand verbarg oder so etwas. Ich kann es nicht mit Sicherheit sagen, weil der andere Mann – Iain – nicht über die Angelegenheit in Kenntnis gesetzt werden soll, wie man mir sagte. Folglich kann ich mir das Gartenhaus nicht ansehen. Doch es war eine ausgeklügelte Falle. Sie setzt Organisation voraus. Planung.«
»Und das passt nicht dazu, dass sie aus einer spontanen Laune heraus ins Gartenhaus gegangen sind … Wollen Sie das damit sagen?«
»Ganz genau. Doch das bringt uns zu dem Schluss, dass Seiner Lordschaft – oder heißt es Seiner Herzogschaft? – Sohn und Erbe an dem Komplott beteiligt war. Und das ergibt nun überhaupt keinen Sinn. Er – und sein Vater – haben genauso viel zu verlieren wie John Macready. Eher sogar mehr.«
»Was gedenken Sie nun zu tun?«
»Ich will den Erpresser finden. Paul Downey. Ob Sie es glauben oder nicht, Miss Bryson, es ist gar nicht einfach, sich in dieser Stadt zu
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