Lenz, Siegfried
die Festung, wir saßen beim Essen – in der ersten Zeit aß ich ja noch mit am großen Tisch –, und Joachim konnte nicht aufhören, an mir herumzumeckern. Er brauchte mich nur zu Gesicht bekommen, dann hatte er schon etwas auszusetzen an mir. Die Tropfspur, er hatte auf dem blanken Fußboden eine Tropfspur entdeckt und ein wenig schwarzen Dreck, den ich wohl hereingeschleppt hatte, da ging es los mit Berufungen, Beschuldigungen, ob ich denn alles einsauen müßte, fragte er, ob ich nicht bemerkt hätte, daß wir hier nicht mehr auf dem Kollerhof wären. Der Chef brauchte lange, bis er zu Joachim sagte: Nun reg dich mal wieder ab, und Dorothea sagte nicht mehr als: Gib schon Frieden, Bruno wird es nach dem Essen wegmachen. Aber er setzte seine Nörgeleien fort, stockender und nicht direkt gegen mich gerichtet, er stichelte so lange, bis Ina die Tür aufstieß und aufgeräumt sagte: Seht mal, wen ich mitgebracht habe. Verblüffung war das mindeste, was sie am Tisch zeigten, sie hörten auf zu essen, starrten den unerwarteten Besuch an und erhoben sich erst, als Niels Lauritzen, von Ina gezogen, am Tisch stand und unsicher lächelte und wohl an einer Entschuldigung kaute; die aber wollte keiner hören. Niels wurde freundlich begrüßt und eingeladen, mit uns ein Stück Brot zu essen. Ich hatte längst die Dreckspur bemerkt, die Ina und Niels von der Tür bis zum Tisch gezogen hatten, schwarze feuchte Abdrücke, sie waren deutlicher als meine, waren vielleicht noch mit kleinen Erdbatzen aus den Maulwurfshügeln angereichert, ich hatte sie bemerkt und sagte nichts und wartete nur darauf, daß Joachim etwas sagen würde, und als er endlich erkannte, was sich auf dem hellen Teppich abzeichnete, da räusperte er sich und fragte Ina: Hast du eigentlich schon unsere Fußabtreter gesehen? Ina, die gerade zwei Teller und Bestecke auflegte, blickte an sich herab, gewahrte die Dreckspur und lachte auf und sagte zu Niels: Guck mal, wie wir uns verewigt haben, und zu Joachim sagte sie: Der ehrlichste Dreck, den es gibt, ein Einweihungsdreck, und mehr sagte sie nicht.
Niels Lauritzen aß nur eine Scheibe Brot und trank nur eine einzige Tasse Tee, er sprach wenig und stellte an diesem Abend nur eine einzige Frage – wie es Doktor Zeller gehe, wollte er wissen, und der Chef sagte, daß Max wohl wie immer unter den Verhältnissen leide und daß es ihm deshalb gut gehe; in unser Schweigen hinein sagte er auch noch: Je unzufriedener Max mit dem Zustand der Welt ist, desto wohler fühlt er sich, und dann reichte er den Brotkorb herum und forderte uns auf, noch etwas zu essen.
Ina mußte die kleine Wunde an ihrem Zeigefinger vorweisen, es kam kein Blut mehr, ein Pflaster wollte sie nicht, doch sie wollte das Taschentuch nicht gleich zurückgeben, das mußte zunächst gewaschen und geplättet werden; was sie über die Herkunft der Wunde erzählte, das stimmte. Wie bemüht sie war, uns mit ihrer Aufgeräumtheit anzustecken, sie gab das Wort nicht ab, mußte uns klein-klein berichten, wo überall sie mit Niels gewesen war und was sie gesehen und erlebt hatten – ein Dachs, es mußte ein Dachs gewesen sein, den wir in den Brombeeren hochschreckten –, sie redete so aufgedreht, daß sie gar nicht mitbekam, wie Joachim seufzte und vor Ungeduld auf seinem Knie trommelte. Und als er ihr Reden nicht mehr ertrug, bat er sie nicht, still zu sein, sondern wandte sich an den Chef und fragte abrupt, ob die Bestandskontrolle fortgesetzt werden sollte wie vorgesehen, und der Chef streifte ihn nur mit einem Blick und fragte seinerseits: Was denn sonst? Auch alle anderen Arbeiten, wollte Joachim wissen, und der Chef darauf mit leichtem Erstaunen: Warum denn nicht, morgen ist ein ganz gewöhnlicher Tag. Dorothea, immer bereit, für Joachim Partei zu nehmen, glaubte den Chef darauf hinweisen zu müssen, daß die Frage ihre Berechtigung hatte, sie sagte: Vielleicht sollten wir warten, bis alles geklärt ist, aber der Chef entschied ruhig: Wir machen weiter, Dotti, alles geht weiter wie gewohnt, damit wehren wir uns am besten.
Gewiß spürte Ina den Ernst, die Bedrückung, sie sah auf einmal besorgt von einem zum anderen, umspannte ihr Teeglas mit beiden Händen und hoffte wohl darauf, daß einer ihr mehr sagen würde, aber keiner weihte sie ein, und da fragte sie einfach, ob der Besuch schlechte Nachrichten gebracht habe, fragte auch: Wie ging’s denn überhaupt mit eurem hohen Besuch? Da guckten alle nur vor sich hin, erst als Niels aufstand und
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