Lenz, Siegfried
viel, daß sie sich schlafend stellte, sie mußte ihm antworten, und sie bat ihn, zu Bett zu gehen, sie sagte auch noch, daß sie sich fiebrig fühle, aber das bedeutete ihm nichts, er war entschlossen, zu ihr zu kommen, er ließ sich nicht wegschicken. Als er sich gegen die Tür warf, hat Magda ihn gewarnt, und als er nach einer Weile das Brecheisen ansetzte, hat sie ihn zum zweiten Mal gewarnt, doch er machte sich nichts aus ihren Warnungen, er stemmte und hebelte.
Ich kann mir gut vorstellen, wie Magda nach einem Ausweg suchte, ich sehe deutlich, wie sie sich durch die dunkle Stube bewegt und eine Flasche nach der andern auf dem Fußboden zerschlägt und die Scherben wegscharrt und vor ihrem Bett verteilt, einen Kranz von Scherben; dann springt sie in ihr Bett und setzt sich auf und erwartet ihn.
Gleich nach seinem Eintritt zog er sich eine Scherbe ein, er stöhnte und humpelte, und nachdem es ihm gelungen war, die Glasscherbe aus dem Fuß zu ziehen, schob er ab nach unten ohne ein einziges Wort.
Zum Frühstück hatte er eine Entschuldigung vorbereitet, er saß bereits am Tisch, als Magda herunterkam, er winkte sie zu sich heran und wollte, daß sie sich neben ihn setzte, doch sie schüttelte nur den Kopf, legte Haus- und Kellerschlüssel auf den Tisch und ist gegangen.
Magda: als ich sie zum ersten Mal sah, da wußte ich gar nicht, daß sie es war und daß sie zu uns gehörte, aber aufgefallen ist sie mir schon, wie sie an einem Ecktisch im Bahnhofswartesaal saß mit dem Mädchen und dem jungen Soldaten. Weil es bei uns nur Gemüse mit Suppe und Ei gegeben hatte, mußte ich am Nachmittag noch einmal rasch zum Wartesaal hinunter, es war sehr schwül, und zu den Frikadellen bestellte ich mir gleich zwei Flaschen Limonade. Über den Schienen brütete die Hitze, der Bahnhof war ganz verödet, es wunderte mich, daß die drei dasaßen, die beiden Mädchen und der Soldat, obwohl der nächste Zug noch lange nicht fuhr. Sie kamen mir beinahe gleichaltrig vor, die drei, dennoch entging mir nicht, daß eines der Mädchen das Sagen hatte, Magda im blauweiß gestreiften Kleid, Magda mit der Halskette und dem Bastkorb, den ein Tuch abdeckte; allein wie sie dasaß, zeigte schon, was sie beanspruchte und was die andern ihr bereitwillig entgegenbrachten an Respekt. Ihre Nachdenklichkeit. Ihre ernste Art, Fragen zu stellen. Ihre knappen Ermunterungen und Einsprüche und ihr gutmütiges Lächeln, mit dem sie manchmal den andern zuhörte.
Als die blasse Frau hinter dem Tresen hervorkam und wollte, daß die drei etwas bestellten, da war es Magda, die antwortete, und sie war es dann auch, die die hingesetzten Teller verteilte, die Terrine zu sich heranzog und jedem auffüllte von der Suppe, dem Soldaten am meisten; ihm schob sie auch den Bauchspeck zu, der auf ihren Teller geraten war. Aus ihrem Bastkorb holte sie zwei Brötchen heraus, der Soldat bekam ein ganzes, sie und das andere Mädchen teilten sich eins.
Ich hatte längst meine Frikadellen gegessen und die Limonade getrunken, wollte längst unterwegs sein zur Holle, aber ich blieb dort sitzen, ich weiß nicht, warum, ich weiß nur, daß mich etwas hielt und ich nicht wegfinden konnte, vielleicht war es die Freude, die nur vom Zusehen kam.
Später haben sie sich noch Apfelsaft bestellt, zwei Flaschen mit drei Gläsern, und plötzlich haben sie ganz schnell ausgetrunken, sind aufgesprungen und auf den Bahnsteig hinausgerannt, wo Magda jedem ein Päckchen zusteckte, es waren gleichgroße Päckchen. Als der Zug einlief, begann es leicht zu regnen, nur einzelne große Tropfen, die im Staub zerplatzten oder auch wegkullerten, Magda gab zuerst dem Mädchen einen Kuß und dann dem Soldaten, und schob nach, als sie ins Abteil stiegen, und während die beiden hinaufstiegen, bekamen sie eins mit der flachen Hand auf den Hintern. So, wie die beiden zurückwinkten, hab ich noch keinen winken gesehn; übereinander hingen sie im Fenster, der Fahrtwind zauste sie, der zunehmende Regen schlug in ihre Gesichter, doch sie zogen ihre Köpfe nicht ein, sie winkten zuerst schnell und dann immer langsamer und im gleichen Rhythmus, bis der Zug hinter der Biegung Richtung Schleswig verschwunden war.
Meine Windjacke, sie kam unter meine Windjacke, obwohl ihr dünnes Kleid schon durchnäßt war, zuerst verstand sie mich nicht, weil der Wolkenbruch seinen eigenen Lärm hatte, doch schließlich hob sie den Korb vom Kopf, mit dem sie sich gegen das Wasser zu schützen versuchte und war einverstanden
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