Lenz, Siegfried
druckste und sich verabschieden wollte, hob der Chef das Gesicht, er bat Niels durch eine Handbewegung, sich wieder hinzusetzen und sagte: Du wirst es nicht glauben, Ina, aber ich hab dem Minister ein Angebot gemacht, beim Abschied, als er alles hier lobte, da hab ich ihn scherzhaft eingeladen, bei uns anzufangen, und er war nicht einmal sehr belustigt, er sagte sogar: Vielleicht, lieber Zeller, nehm ich Sie mal beim Wort. Lange ist der Chef nicht mehr bei uns sitzengeblieben, er mußte in sein Büro gehen, und als er Niels Lauritzen die Hand gab, forderte er ihn auf, bei Gelegenheit wiederzukommen, das tat er.
Die Vögel: immer mißtrauisch und bereit, immer ein Auge auf den anderen, als ob von den anderen alles abhinge, selbst wenn sie in der Pfütze baden, beobachten sie einander, stoßen vor und erschrecken sich, der andere hat immer den besten Platz und muß zuerst einmal weggejagt werden. Unsere Vögel baden immer einzeln, obwohl die Pfütze so groß ist, daß sechs oder acht Vögel gleichzeitig baden könnten, tun sie es nicht, sie hocken herum und beäugen den, der mitten hineinhüpft in die Brühe, unter wildem Nicken Wasser über sich bringt, anfangs nicht allzuviele Tropfen, die sein Gefieder wohl nur vorwaschen sollen, und wenn er sich dann ausreichend benetzt hat, geht es richtig los: tief duckt er sich, spreizt seine Schwingen und läßt sie im Wasser schwirren, schlägt so schnell, daß ein kleiner Sturm entsteht und es in der Luft nur so sprüht und funkelt, er peitscht und walkt da herum, als wollte er gar nicht aufhören. Mitten im Spaß fliegt ihn ein anderer an, ein Schatten, ein warnender Schnabelhieb, und er hüpft hinaus und steht struppig und verklebt da, es tropft von ihm, die Flügel hängen, trauriger kann kein Vogel aussehen, ein Wunder, daß er sich überhaupt erheben und wegfliegen kann.
Alle fliegen auf und davon, das Auto hat sie vertrieben, der Krankenwagen, das ist ein Krankenwagen, der langsam zur Festung hinauffährt, sie werden doch nicht den Chef holen, er ist bestimmt nicht krank, so, wie die Frau von Ewaldsen krank ist, die liegen muß, manchmal in der Sonne sitzt, dürr und zitronengelb, dann wieder liegen muß – der Chef ist nur enttäuscht, verbittert ist er, allein, vielleicht auch mutlos, aber wenn es sein muß, wird er mit allem hier fertig, sie können ihn nicht einfach krankschreiben und überführen lassen und dann hier alles regeln und aufteilen in ihrem Sinn, das läßt er sich niemals gefallen. Aber wenn sie ihn wegbringen müssen, wenn es ihm geht wie dem alten Gemeindevorsteher Detlefsen, dem es plötzlich beim Frühstück nicht gelang, die Kaffeetasse an den Mund zu heben und überhaupt zu trinken und zu essen – wenn es soweit ist mit ihm, dann kann ich gleich anfangen zu packen, dann ist meine Zeit in Hollenhusen schon morgen vorbei.
Zwei steigen aus, das sind bestimmt keine Krankenträger, vielleicht sind sie irrtümlich zu uns gekommen, ich muß warten, bis sie wieder abfahren. Früher, auf dem Kollerhof, da war es schön, krank zu sein, ich lag allein in meiner Kammer, und alle waren gut zu mir und kamen und brachten mir etwas, früher sagte jeder, was er dachte, wenn Dorothea sagte, so, Bruno, nun schlafen wir uns aus der Krankheit hinaus, dann schlief ich auch schon ein, und wenn ich aufwachte, war die Krankheit kleiner.
Ina: sie geht den Männern entgegen, sie spricht mit ihnen, und jetzt kommt Max, der Lisbeth führt, also wird Lisbeth fortgebracht, die sich ungestützt wohl nicht mehr bewegen kann. Keinen Blick hat sie für die Männer übrig, die sie übernehmen und zum Krankenwagen bugsieren, keinen Blick für Magda, die einen großen Koffer schleppt. Magda im Mantel. Auch sie steigt ein. Sie wird mir erzählen, was geschehen ist, sie muß es erzählen, in der kommenden Nacht wird sie klopfen, das hat sie versprochen.
Vielleicht sollte ich doch nicht ans Meer gehen, zu Bootsbauern, sondern in eine kleine Stadt, alles ist da bestimmt übersichtlich, so daß man sich rasch einleben könnte, und wenn Magda mitkäme, würde es wohl nicht mal einen Tag dauern, bis wir etwas gefunden hätten für uns.
Zusammen, da würden wir uns gleich zurechtfinden in einer Stadt. Sie könnte mich zur Stadtgärtnerei bringen, wo es bestimmt Arbeit gibt für mich, und bei allem, was sie kann, würde sie gewiß in kurzer Zeit auch etwas für sich finden – Magda, die selbst in einer kleinen Stadt an der Küste groß geworden ist und genau weiß, wie man zu etwas
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