Lenz, Siegfried
kommt.
Von ihrer Stadt an der Westküste spricht sie nicht gern, wenn ich sie nach ihrem Leben gefragt habe, hat sie immer nur das Nötigste gesagt, aber ich war noch jedesmal zufrieden mit dem Nötigsten, denn ich sah die alte Stadt deutlich genug vor mir: die engbrüstigen Häuser, vor denen hier und da Malven standen, das Kopfsteinpflaster, die Linden, die im Seewind kümmerten, die Werft, auf der nur noch Fischerboote repariert wurden. Dort wuchs sie auf in einem schmalen grauen Haus. Ihr Vater war Schiffszimmermann, er kenterte bei einer Probefahrt und ertrank; ihre Mutter wollte sich nicht damit abfinden und saß lange am Fenster, sie saß auch manchen Winter so, ungläubig und hoffend, und einmal bekam sie Fieber und starb nach kurzem Krankenlager, nun war Magda allein mit ihren jüngeren Geschwistern, Jan und Clara, die beide noch zur Schule gingen.
Um sie satt zu bekommen, nahm sie eine Stellung an bei einem Drogisten, dessen Frau hatte einen Kropf und einen Fimmel, den Staubfimmel, den ganzen Tag war sie hinter Magda her, wies sie an, beaufsichtigte sie und rügte sie, und wenn Magda am Abend nach Hause ging, mußte sie sich abmelden. Essen durfte Magda nur das, was die Frau ihr zuteilte, und kaum war ihr Teller leer, da hieß es auch schon: Die Arbeit wartet nicht gern; fertig wurde sie niemals.
Einmal hat Magda gesehen, wie die Frau den Staubbeutel aus dem Staubsauger absichtlich ein wenig öffnete und etwas von dem Inhalt auf einen Lehnstuhl schüttete und auf die Blätter einer Zimmerpflanze, sie hat es gesehen und nichts dazu gesagt, doch als die Frau dann mit ihrer üblichen Inspektion anfing, als sie Magda beweisen wollte, daß ihre Arbeit nicht das Geld wert sei, das sie erhielt, da erlebte sie eine ganz schöne Überraschung. Ohne ein Wort hat Magda den Staubbeutel genommen und den ganzen Inhalt über die Zimmerpflanzen verstreut, so daß sie aussahen wie mit Dreck gepudert, und dann hat sie der Frau den Staubbeutel in die Hand gedrückt und ist gegangen.
Der Räuchermeister: sie hat auch einmal bei einem Räuchermeister gearbeitet, der war Witwer und lebte allein in einem geräumigen Haus, das von wildem Efeu bewachsen war, ihre Geschwister waren da schon aus der Schule. Die Stube, in der sie wohnte, war erfüllt vom Lärm der Vögel, die ihre Nester im Efeu hatten, bei der Arbeit war sie ohne Aufsicht, und sie durfte sich zu essen nehmen, soviel sie wollte. Überall im Haus, auf Kommoden, Schränken, Fensterbrettern, standen Flaschen herum, schöne Flaschen, die der Räuchermeister ausgetrunken hatte, und damit er sich erinnern konnte, mit wem er es getan hatte, trugen alle Flaschen kleine Aufschriften, die enthielten nur Name und Datum. Immer, wenn der Räuchermeister nächtlichen Trinkbesuch hatte, war Magda ruhig und zufrieden, nachdem sie eine Weile den Stimmen zugehört hatte, konnte sie leicht einschlafen, und sie schlief durch und schrieb am nächsten Morgen die Etiketten aus. Bange aber war sie immer dann, wenn kein Trinkbesuch kam, wenn der Räuchermeister allein mit seiner Flasche in der Küche saß, Ansprachen hielt oder jammerte oder seine Wut ausließ an den Sachen in seiner Nähe; in solchen Stunden lag sie wach und fühlte, wie die Furcht stieg, sobald er zu wandern begann, treppauf und treppab. Jedesmal kam er auf seinen Wanderungen auch an ihre Tür, er war dann zuerst ganz still und lauschte nur, manchmal bewegte er den Drücker, um zu prüfen, ob Magda abgeschlossen hatte, sie hatte immer abgeschlossen, sie stellte sich schlafend und antwortete nicht, wenn er leise ihren Namen rief.
Kaum war er am nächsten Morgen aus dem Haus, da lief Magda hinunter zum Hafen und bis zur Spitze der Mole, dort warf sie eine Flasche ins Meer, eine Flaschenpost, sie nahm sich einfach, was auf den Kommoden und Fensterbrettern stand, entfernte das Etikett und steckte eine Botschaft in die Flasche. Magda wollte mir nicht sagen, was die Botschaft enthielt, doch ich kann mir schon denken, daß sie darauf aus war, aus der Ferne Antwort zu erhalten. Obwohl sie den davontorkelnden Flaschen dreimal hinterherspuckte, obwohl sie sich versicherte, daß ihre Botschaften von Wind und Strömung aufs offene Meer und westwärts getrieben wurden, hat sie kein einziges Mal eine Antwort bekommen.
Einmal rüttelte der Räuchermeister an Magdas Tür – er hatte sich auf Strümpfen angeschlichen –, er bewegte nicht nur den Drücker, sondern rüttelte und rief und befahl ihr, aufzumachen, da nützte es nicht
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