Lenz, Siegfried
damit, daß ich die wasserdichte Jacke über uns beide hielt. Auf der andern Seite der Schienen vergewisserte sie sich, ob es da zu unseren Quartieren hinaufging, danach hielt sie sich neben mir, achtete nur auf ihre Schritte und ließ sich von mir führen, am Versandschuppen vorbei und am neuen Gerätehaus, wenn mein Arm ihre Schulter berührte, duckte sie sich und ging gleich ein wenig rascher, und ich achtete darauf, daß es nicht wieder geschah. Erstaunt guckte sie mich an, als ich vor meiner Tür stehenblieb und den Schlüssel herausfischte, sie hatte bestimmt nicht gedacht, daß auch ich hierher gehörte, doch während ich aufschloß, dämmerte ihr wohl etwas, und sie fragte: Sind Sie vielleicht Bruno? Ja, sagte ich und lud sie ein, zu mir hereinzukommen und den Wolkenbruch abzuwarten, und sie tat es zögernd.
Da es von ihr nur so tropfte und floß, hätte ich sie am liebsten in eine Waschschüssel gestellt, ich mußte sie überreden, sich auf den Hocker zu setzen, und nachdem sie es widerstrebend getan hatte, bot ich ihr von dem an, was auf dem Fensterbrett lag für meinen Nachthunger, doch sie wollte nichts haben. Beim Anblick meiner Uhr schmunzelte sie, sie entdeckte gleich, daß sie nur einen Zeiger hatte, sie sagte: Die geht wohl nach dem Mond; aber das Marmorgehäuse, das hat sie bewundert; behutsam drehte sie es in den Händen, wischte über es hin, dann hat sie ein bißchen nachgerechnet und gesagt: Bald werden sie in Schleswig sein, und als ich fragte: Wer?, sagte sie: Meine Geschwister, es war ihr erster Besuch in Hollenhusen.
Eine Weile haben wir schweigend gesessen, die schweren Wolken trieben zur Ostsee weiter, wie immer bei uns kam die Helligkeit schnell zurück, draußen siddelte es nur noch. Plötzlich wollte sie von mir wissen, ob ich gern hier sei, und ich sagte, daß der Chef mich hierher gebracht hatte, und daß ich seit dem Tag bei ihm war, an dem er daran ging, den alten Exerzierplatz zu bearbeiten, und ich sagte ihr auch noch, daß ich es mir gar nicht vorstellen könnte, woanders zu leben.
Ob es ihr bei uns gefiel, das konnte sie noch nicht sagen, auf meine Frage hob sie die Schulter und meinte: Mal sehen, wie sich hier alles anläßt.
Mit dem Chef sprach ich nicht über Magda, in jener Zeit waren wir auch nur selten unter uns, weil er oft Besuch hatte und immer wieder nach Kiel mußte und nach Schleswig, das war ein Kommen und Gehen in der Festung, Leute aus Hollenhusen kamen zu uns, unbekannte Leute aus kleinen Nachbarorten, als ob es Sonderangebote bei uns gäbe, so zogen wir sie an, und wenn sie uns verließen, verabschiedete der Chef viele mit einem Handschlag oder mit heiterem Zuruf.
Als die Verladerampe eingeweiht wurde, die die Bahn eigens für uns errichtet hatte – es war wohl die einzige Rampe weit und breit –, da begegneten wir uns, da standen wir dicht nebeneinander, er kniff mich leicht in den Nacken und sagte, ohne mich anzusehn: Weißt noch, Bruno – in alle Himmelsrichtungen, und jetzt ist es so weit. Was wir hier aufziehn, das geht in alle Himmelsrichtungen: ich hab’s dir vorausgesagt, und nun geschieht es auch. Bevor ich ihm antworten konnte, mußte er schon zu dem uniformierten Bahninspektor, mit dem zusammen er die Flachsteigen und Doppelkisten inspizierte, in denen Ballenpflanzen verstaut waren, Sträucher und Wildlinge und Bodendecker. Ich wunderte mich nur, wie bemüht manche waren, einige Worte mit ihm zu wechseln, und wie sie sich beeilten, ihm beizupflichten, nicht anders, als hingen sie von ihm ab. Gewiß kam das auch davon, daß überall in Hollenhusen Plakate klebten, an Bäumen, an Zäunen, an den Wänden von Scheunen, und daß auf den Plakaten ein Photo des Chefs zu sehen war, es waren sogar zwei Photos: auf einem sah er jeden ernst an, auf dem andern hatte er den Spaten tief in die Erde gestochen, um etwas zu pflanzen, das Bäumchen, das neben ihm lag.
Sie hatten ihn für die Wahl aufgestellt, sie wollten, daß er Bürgermeister würde in Hollenhusen, nicht alle, aber doch die, die sich etwas davon versprachen; wie Max erzählte, haben sie ihn so lange bedrängt und ihm zugeredet, bis der Chef schließlich zustimmte; von da an war er viel unterwegs, und das Licht in der Festung brannte länger als sonst. Um die Düngung all unserer Topfgewächse konnte er sich nicht mehr kümmern, die hatte er mir anvertraut, und ich machte es wie er, gab ihnen je nach Art und soviel sie brauchten, sprach mit ihnen, und bei allem lauschte ich auf die
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