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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
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warum tut er es dann, fragte Dorothea, und Max darauf: Einige müssen es übernehmen, damit es am Ende weitergeht mit allem. Max war einverstanden mit dem, was der Chef auf sich genommen hatte, er lobte und verteidigte ihn, seine Rede bewunderte er sogar, zumindest hatte er sie ihm nicht zugetraut, dennoch glaubte er, daß es für den Chef nicht reichen würde, bei allen Anstrengungen nicht, weil er einen Fehler begangen hatte, den sich keiner leisten kann: Offenheit, entwaffnende Offenheit. Damit hat er sich um seine Chance gebracht, sagte Max, ihr werdet es erleben.
    Wir erlebten es nicht. Max bekam nicht recht, denn es dauerte nicht lange, da wählten sie den Chef zum Bürgermeister von Hollenhusen, man knapp, aber sie wählten ihn.
    Das ist nicht Magdas Kopftuch, bestimmt wird es wieder die einäugige Frau sein, die hinter der aufgelassenen Ziegelei wohnt, diesmal klaut sie nicht Hagebutten, sondern Rhododendron-Stecklinge, immer nur ratsch und in den Sack, ratsch und in den Sack, alles für ihren zusammengestohlenen Garten, vor dem noch jeder Fremde stehengeblieben ist. Einmal hab ich sie ganz schön erschreckt, ich hab mich angeschlichen und sie so erschreckt, daß sie ihren Sack fallen ließ, daß sie erstarrte, wie eine Vogelscheuche stand sie da, unfähig, sich zu bewegen, doch als ich gerade überlegte, ob ich sie dem Chef vorführen sollte, da drehte sie sich langsam um und sah mich an mit ihrem einzigen Auge, und ich konnte nicht viel sagen. Sie klauen hier, sagte Bruno, und das war schon alles. Ich warf den Knüppel weg, den ich bei mir hatte, und wartete darauf, daß sie abschob, vor lauter Unsicherheit hab ich ganz vergessen, ihr die Beute abzunehmen.
    Wie sie einsackt, nicht anders, als ob sie im Akkord für uns arbeitet, suchend geht sie von einem Steckling zum andern, tief geduckt, ohne zu sichern, am liebsten möchte ich sie stellen und dem Chef vorführen, damit er die Strafe festsetzt, aber ich geh hier nicht raus, vor dem Abend lasse ich mich nicht blicken. Häher fliegen auf. Eine Elster fliegt auf. Gewiß kommt einer den Transportweg hinab, vielleicht wird er sie überraschen, die Frau hat immer noch nichts bemerkt, ahnungslos reißt sie und schüttelt die Erde ab und sackt ein; jetzt ist es zu spät, um zu rennen.
    Joachim. Joachim allein und ohne Hund, und noch hat er sie nicht entdeckt. Joachim hat seine Augen nur bei Mirko, der mit seinem Traktor eine Sämaschine abschleppt. Ein Signal, ich müßte ihr ein Signal geben. Joachim ruft Mirko an und deutet zu den Kiefern hinüber. Sie wirft sich nicht hin, sie schleppt ihren Sack zu den Regentonnen, versteckt ihn und beginnt seelenruhig ihre Schuhe zu reinigen und späht dabei zu Joachim hinüber, der neben Mirkos Traktor hergeht, zum Gerätehaus.
    Sie wählten ihn zum Bürgermeister von Hollenhusen, obwohl Max ihm keine Chance gegeben hatte, es war das knappste Ergebnis, an das sie sich erinnerten bei uns, dem Chef aber machte das nichts aus, er übernahm das Amt und war einverstanden damit, daß sie ihn im Gemeindehaus Herr Bürgermeister nannten, manchmal sagte sogar Dorothea zu ihm: Komm, Bürgermeister, iß noch ein Würstchen. Welche Arbeiten in den Quartieren anstanden, das wußte er zu jeder Zeit, er konnte nicht mehr soviel bei uns sein, aber über Ewaldsen und Joachim ließ er uns sagen, was vorrangig zu tun war, und wenn wir ausführten, was er für dringend hielt, hab ich mir so manches Mal vorzustellen versucht, womit er sich gerade beschäftigte, und ich sah ihn dann bei Besichtigungen oder hörte ihn vom schwarzen Pult zu Leuten sprechen, mitunter nahm er auch die Bitten von Hollenhusenern entgegen.
    Einmal hat er ein Fest eröffnet, das Große Ringreiten, zu dem die Wettkämpfer von überall angeritten kamen, alte Männer und Jungbauern, aber auch Schulmädchen, sie ritten zur Holle hinunter, auf Lauritzens Wiese, die sie zu einer Festwiese gemacht hatten mit Fahnen, Kampfbahnen, Buden und Verkaufsständen. Dort nahmen sie Aufstellung, und der Chef stieg auf eine Kiste und eröffnete das Ringreiten, er sprach nicht lange, und ich konnte auch nicht verstehn, was er sagte, weil ich nicht allzu nahe herangehen mochte, aber es muß eine heitere Eröffnung gewesen sein, denn Gelächter antwortete ihm, und er bekam viel Beifall. Die Reitanzüge schwarz und weiß. Die bewimpelten Lanzen. Die geschmückten Pferde, Rosen hinter den Ohren. Gekalkte Masten, zwischen denen schon Ringe hingen. Sperrseile überall. Das mächtige, verwaschene

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