Lenz, Siegfried
haben sie verabredet, alles ohne ihn zu verhandeln, vermutlich brauchen sie ihn gar nicht, denn was sie vorhaben, geschieht über seinen Kopf hinweg. Herr Messmer wurde bereits von mir über die Existenz des Schenkungsvertrags unterrichtet, er ist auch darüber informiert, daß der Vertrag mit dem Ableben von Herrn Konrad Zeller in Kraft tritt.
Warum gucken sie mich alle an, ich hab den Vertrag nicht gesehn, ich war doch nicht dabei, als der Chef ihn unterschrieben hat in Schleswig, warum mustern sie mich, als wäre ich schuld an allem, was verlangen sie von mir? Soweit es ihn selbst betrifft, ist Herr Messmer eingeweiht in die Artikel des Schenkungsvertrags; das sagt Murwitz auch noch und sieht auf die Papiere hinab.
Dorothea: sie ist immer gut zu mir gewesen, hat mich immer in Schutz genommen; an Dorothea muß ich mich halten, sie weiß fast ebensoviel über mich wie der Chef. Wie besorgt sie mich anguckt, wie traurig sie lächelt, jetzt. Alle, Bruno, sagt sie, alle machen wir uns Sorgen um den Chef, er hat sich sehr verändert in der letzten Zeit, er hat uns manche Rätsel aufgegeben. Vielleicht hast auch du es schon gemerkt, bestimmt hast du es gemerkt, denn mit keinem ist er so oft und so gern zusammen wie mit dir. Es wird dir gewiß aufgefallen sein, daß er nicht mehr der alte ist. Verstehst du, Bruno, was ich sagen will?
Ich nicke nur, und sie ist zufrieden mit meinem Nicken; wenn ich nur wüßte, worauf sie hinauswollen, sie haben gewiß einen Plan, und wenn ich sie enttäusche, werden sie mich fortschicken, das werden sie. Joachim möchte das wohl gleich tun, der hält es kaum aus vor Ungeduld, er wippt manchmal mit der Fußspitze, und jetzt faßt er mich ins Auge, er mildert seinen Ausdruck, das Wippen hört auf, er sagt: Du mußt begreifen, Bruno, manchmal muß man etwas schweren Herzens tun, es ist nötig, um Schlimmeres zu verhindern, und wir alle sind überzeugt davon, daß es jetzt getan werden muß. Der Chef braucht unsere Hilfe, er ist nicht mehr der alte, den wir kennen, wir glauben, daß eine Krankheit ihn verändert hat, eine Krankheit, verstehst du, die ihn manchmal nicht mehr erkennen läßt, was er macht. Und damit wir dem Chef helfen können, müssen wir alles wissen, mußt du uns sagen, was dir aufgefallen ist, wenn ihr allein wart, und dir ist doch so manches aufgefallen, oder? Ja, sage ich, ich habe schon ja gesagt, ohne nachzudenken, ich wollte es nicht und habe es schon getan. Nun erzähl mal, Bruno, du hilfst damit dem Chef.
Was soll ich sagen? Daß er mir scheu vorkam mitunter? Daß er hinfiel und weg war für eine Weile? Daß er mir ein paarmal aus dem Weg ging? Seine Unsicherheit. Sein langes Brüten. Seine Geschenke, mit denen er mich ganz schön erschreckt hat. Daß er plötzlich, mitten in der Arbeit, zu einem Unsichtbaren zu sprechen anfing, immer nur kurze Warnungen, unwirsche Befehle. Nein, sage ich, daß er krank ist, davon hab ich nie etwas gemerkt. Es ist wichtig, daß Sie sich erinnern, sagt eine andere Stimme, sagt Murwitz, denn es gilt eine erhebliche Gefährdung abzuwenden.
Hör mal zu, sagt Joachim, wir waren doch dabei, du und ich, als der Chef sich zum ersten Mal weigerte, ins Dänenwäldchen zu gehen, er wagte es nicht zu betreten und schickte uns hinein und blieb zurück: warum wohl? Die Bäume, er konnte nicht aufsehen zu den Baumkronen, weil er glaubte, daß einige auf ihn hinabstürzen könnten. Ich sage: Manchmal stürzt ein Baum, vielleicht dachte er daran, vielleicht hatte er Angst, daß er nicht schnell genug zur Seite springen könnte. Hast du schon erlebt, daß ein Baum einfach stürzt, fragt er, so mir nichts dir nichts einfach umkippt? Geschlagen, ja, abgesägt, umgepflügt, weggerissen, ja, aber ohne Zutun aus heiterem Himmel hat Bruno noch keinen Baum stürzen sehen, in all den Jahren nicht. Das hat der Chef sich doch wohl nur eingebildet, sagt Joachim, oder was glaubst du? Ich weiß nicht, was ich sagen soll, alle gucken mich an, es drückt auf den Magen, doch nun sagt Dorothea: Der Tee, Bruno, er wird kalt. Ich kann nicht, die Tasse scheppert bereits, wenn ich sie anhebe, ich kann nicht trinken.
Aber die Kiste, sagt Joachim, wo die Kiste mit den alten Werkzeugen geblieben ist, das weißt du doch noch, die Steinäxte, die Schaber, die Pfeilspitzen – na, erinnerst du dich? Wir haben alles in die Kiste gelegt, der Chef und ich, damals, als wir das Land bearbeiteten, das ganze Werkzeug aus der Steinzeit wurde abgewaschen, beschriftet; bei jedem
Weitere Kostenlose Bücher