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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
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mir und versprach, daß sie es gutmachen würde, sie sagte: Ich werde mir etwas Schönes überlegen für dich, Bruno, und plinkerte mir zu.
    Ach, Ina, ich ging zuerst zum feuchten Land, wo die Schwalben die Tümpel ritzten und ihre Muster zogen in der Luft, und als ich mich umdrehte nach euch, da half Guntram Glaser dir gerade von der geschichteten Mauer herunter, in die Tragetasche hatte er sich schon eingehenkelt, bereit, sie für dich zu tragen.
    Manchmal vergaß Ina, daß sie mir etwas versprochen hatte, auf das Bestimmungsbuch für Bäume warte ich heute noch, ebenso auf das gebrauchte Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel, das ich für meine Gänge zu Niels Lauritzen bekommen sollte; aber daß sie mir etwas für den Ackerfuchsschwanz versprochen hatte, das vergaß sie nicht. Beim Schuheputzen, ich war gerade damit fertig, alle unsere Schuhe zu putzen, als Ina mir noch ihre weichen Lederstiefel hinsetzte und mich fragte, ob ich schon einmal im Kino gewesen sei, und ich sagte nein. Darauf fragte sie mich, ob ich nicht Lust hätte, sie zu begleiten, ins »Deutsche Haus«, wo nach langer Pause wieder ein Film gezeigt werden sollte, und ich sagte ja, und war damit schon eingeladen. Gut, Bruno, dann sitzen wir nebeneinander.
    Wir saßen auch nebeneinander, ich saß auf der rechten Seite von Ina, und links von ihr saß Guntram Glaser; im großen Saal standen keine Tische, nur Stuhlreihen, und vorn, wo sonst das Pult war, da hing eine straffe Leinwand. Guntram Glaser hatte eine Tüte mit gebrannten Mandeln bei sich, davon bot er uns an, er sagte, daß er den Film schon einmal gesehen hätte und daß es sich lohne, ihn zum zweiten Mal anzusehen, außer dem Titel wollte er uns nichts verraten. »Am Strom«, so hieß der Film. Daß ich noch nie im Kino war, konnte Guntram Glaser sich gar nicht vorstellen, er schüttelte nur den Kopf und sagte: Dann wird es aber höchste Zeit, Bruno.
    Der Strom und der unablässige Regen am Strom und das drängende Wasser vor den Pfählen des krummen Holzstegs, und an ihm vertäut der plumpe, geteerte Kahn, der hin und her schwojte, die gebleichte Persenning, die plötzlich lebendig wurde: da schälte sich ein Mann heraus, der wohl unter der Persenning geschlafen hatte, sein rundes, unrasiertes Gesicht hob sich übers Dollbord, er suchte mißtrauisch die Ufer ab, duckte sich, als er zwischen den Holzhäusern einen Gendarmen erkannte, der sein Fahrrad ohne Eile zum Birkenwäldchen schob.
    Das Wasser stieg, es zerrte an überhängenden Gräsern und Ästen, es schwappte über den Holzsteg, in der Mitte des Stroms glitten in trudelnder Fahrt Bretter und Flaschen und entwurzelte Bäume vorbei, dem Delta zu. In den Holzhäusern hielten sie die Fenster besetzt und beobachteten, wie das Wasser stieg, die Kinder und die jungen Leute taten es, während die Alten kramten und packten und allerhand Zeug nach oben schleppten, auf die Böden; Betten trugen sie hinauf und Geschirr und Wanduhren, und wenn sie sich ausruhten, lauschten sie auf das ferne Murren in der Luft und auf ein dunkles Brausen, ihre Blicke begegneten sich, sie bestätigten sich etwas.
    Der Gendarm hatte das Birkenwäldchen noch nicht erreicht, da kam ihm ein anderer Gendarm entgegen, sie schoben ihre Fahrräder zusammen und besprachen sich, jeder hatte seinen eigenen Verdacht, doch zuletzt entschlossen sie sich, noch einmal das Ufer abzusuchen, die Schuppen, in die das Wasser schon hineinleckte, die vertäuten Kähne. Sie ließen ihre Fahrräder bei den Häusern stehen und kamen den überspülten Uferpfad herab, das Wasser ließ leichte Kisten aufschwimmen und lüftete Baljen und ausgediente Netze; die Gendarmen stapften um sie herum, spähten in die dämmrigen Schuppen hinein, untersuchten alles, aufmerksam von dem beobachtet, dem ihre Suche galt, von dem rundgesichtigen Mann in dem geteerten Kahn. Bevor die Gendarmen auf seiner Höhe waren, kroch er unter die Persenning und stellte sich tot, aber er ahnte nicht, daß ein Schuh und ein Stück seiner Sträflingsjacke unter der Persenning hervorguckten, daran erkannten sie ihn, und ohne ein Wort nahmen sie ihre Karabiner vom Rücken und riefen ihn an und befahlen ihm, an Land zu kommen.
    Er gehorchte nicht, er blieb einfach liegen und stellte sich tot; die Gendarmen stimmten sich leise ab, und einer von ihnen balancierte über den glitschigen Holzsteg, der bereits unter Wasser lag, griff nach dem Tau und versuchte, den Kahn gegen die mächtige Strömung heranzuziehen. Ob der Gendarm nur

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