Lenz, Siegfried
sprechen. Wir werden dir eine Erklärung aufsetzen, sagt Joachim, eine Verzichtserklärung, niemand braucht davon zu erfahren, du wirst sie nur unterschreiben, und die Sache hat sich; alles bleibt hier, wie es ist. Überleg mal, sagt Max, und er sagt auch: Selbstverständlich werden wir deinen Verzicht belohnen, du sollst es nicht umsonst unterschreiben.
Das ist der Schweiß, der so sauer schmeckt, Max hat wohl gemerkt, daß mein Gesicht ganz naß ist, er hält mir etwas Weißes hin, ein Papiertaschentuch, hier Bruno, nimm nur. Seine Augen, das Lauern in der Tiefe seiner Augen, ich verstehe, verstehe, höre immer deutlicher, was du denkst, was deine andere Stimme sagt: Dämlack, so hast du mich genannt. Wann wirst du es begreifen, Dämlack, was du uns schuldig bist, nie wirst du mit deiner Aufgabe hier fertig, du kannst froh sein, daß wir dir soweit entgegenkommen; also mach schon und sag zu, sonst müssen wir andere Saiten aufziehen. Ich will sein Taschentuch nicht, welch ein Durcheinander: vorläufige Verzichtserklärung, du brauchst nur, es genügt schon, seit wann bist du so, du Dussel, los, antworte auf unseren Vorschlag, wovon träumst du denn, willst du etwa dein eigener Chef werden, wir müssen zusammenhalten, Bruno, du hast es in der Hand, ob alles hier so bleiben kann – wer sagt das, wer von ihnen denkt das, ich kenn ihre Stimmen nicht mehr, sie wollen mich in die Enge treiben, das wollen sie. Zu ihm, jetzt muß ich zu ihm, nicht hastig, ganz ruhig aufstehn und so tun, als würde ich gleich zurückkommen, ganz beherrscht, als müßte ich eben mal hinaus, und dann die Treppe hinauf und den Korridor hinab zu seiner Tür. Wir warten auf dich, Bruno, sagt Max. Ja, ja, erst einmal weg hier, weg.
Was so zittert und zuckt, das ist nur mein Arm, ich muß die Luft anhalten, ich muß gleichmäßig weitergehn. Daß ich zu ihm will, darauf wird keiner kommen, zu ihm geht man nur, wenn man gerufen wird, ich zumindest, von allein hab ich mich kein einziges Mal bei ihm gemeldet, aber nun muß ich es, muß ihn um Auskunft bitten, und wie ich ihn kenne, wird er es verstehen. Stufe für Stufe, langsam, damit der Atem sich beruhigt, jetzt sieht mich keiner mehr, wie lang der Korridor ist, nur leise, damit meine Quälgeister nicht die Tür öffnen, hinter ihren Türen ist Licht, ich darf nicht zu laut klopfen.
Sitzt er im Dunkeln? Das war seine Stimme, er hat »herein« gesagt. Da sitzt er, neben dem kleinen Licht. Na, Bruno? Ist jemand hinter dir her? Beruhige dich erst mal. Er wundert sich gar nicht, daß ich hier bin, er ist nicht ärgerlich, daß ich ihn unterbrochen hab beim Nachdenken.
Reg dich ab, Bruno. Was willst du? Ich bleib nicht lange, sage ich, unten warten sie auf mich. So, sagt er, dann haltet ihr wohl alle Kriegsrat – oder seid ihr dabei, das Fell des Bären zu verteilen? Setz dich hin, Bruno. Nein, nein. Hast du Sorgen, fragt er und steht auf und faßt mich am Ärmel. Wie soll ich anfangen, der Vertrag, das Land, die Entmündigung, wo soll ich beginnen, wie mühsam er steht, er schwankt ein bißchen, er möchte zurück zu seinem Stuhl: Es geht schon, Bruno, es geht; also? Ist es der Schenkungsvertrag? Ja, sage ich.
Warum lächelt er? Warum nickt er für sich, vielleicht weiß er noch nicht, worauf sie aus sind und was sie schon eingeleitet haben, vielleicht weiß er das nicht. Siehst du, Bruno, wenn man so weit ist wie ich, dann muß man Vorsorge treffen, es ist gut, wenn die offenen Angelegenheiten beizeiten geregelt werden. Jeder ist bedacht worden, Bruno, deine Sache ist in Schleswig hinterlegt, was der Vertrag vorsieht, wird dir zu gegebener Zeit eröffnet werden; zu gegebener Zeit. Ich will das Land nicht, sage ich, ich will nur, daß alles so bleibt, daß wir zusammen sind. Wie er mich anguckt, er ist nicht einverstanden mit mir, er sagt: Wart nur ab, red nicht soviel mit anderen und hör ihnen nicht zu und wart ab.
Wissen, er muß wissen, was sie beantragt haben beim Gericht, und er muß wissen, daß sie mir eine Verzichtserklärung aufsetzen wollen, die ich nur zu unterschreiben brauche. Hör nicht zuviel auf die andern, Bruno, das Wichtigste mußt du allein tun. Es wurde etwas beantragt, sage ich, beim Gericht. Er ist gar nicht verwundert, hebt mir ein wenig sein Gesicht entgegen, er weiß sicher längst, was gegen ihn läuft, was ihm abgesprochen werden soll, keine Trauer, kein Zorn, nur dies Zucken um seinen Mund. So ist es, Bruno, auf einmal bist du allein und stehst da mit deinen
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