Lenz, Siegfried
dich an mich erinnert; mehr sagte er nicht. Hör zu, Bruno, hör mir jetzt genau zu: als der Chef dir diese wertvollen Dinge schenkte, hast du dich da nicht gewundert? Ich will nichts sagen, doch ich sage: Die Widmungen, ich durfte die Geschenke nicht behalten, weil da Widmungen drauf standen. Siehst du, sagt Max, also müssen wir uns eingestehen, daß der Chef kein Gefühl hat für die besondere Bedeutung seines Eigentums – oder würdest du wegschenken, was dir persönlich gewidmet ist? Und jetzt wirst du wohl verstehen, worauf es uns ankommt und was wir leider feststellen müssen: weil der Chef sich selbst verändert hat, hat sich auch sein Verhältnis zu den Dingen geändert; er übersieht nicht mehr seine Handlungen, er erkennt nicht ausreichend, wozu er verpflichtet ist, er empfindet kaum noch Verantwortung für das, was ihm gehört.
Dorothea: wie mühsam sie aufsteht, sich abwendet, zum Fenster geht mit kleinen Schritten, es gibt nichts zu sehen in der Dunkelheit, vielleicht lauscht sie und wartet, daß er herunterkommt, so wie ich auf ihn warte, es ist so schwer, zu denken, wenn es schnürt und wummert, am liebsten würde ich mit dem Kopf gegen den Türpfosten schlagen, wie früher, nur ein paarmal, nur bis sich alles besänftigt, aber ich darf mich nicht wegrühren. Ich muß zu ihm.
Es steht Ihnen frei, sagt Murwitz, es steht Ihnen frei, den Schenkungsvertrag nach eigenem Urteil auszulegen. Joachim: Es ist dir hoffentlich klargeworden, daß der Chef nicht übersehen konnte, was er da aufsetzen ließ und unterschrieb, er hat einfach die Folgen nicht erkannt. Laß dir Zeit, Bruno, und sag nicht zu schnell ja und nicht zu schnell nein. Wie immer Sie sich entschieden haben oder noch entscheiden werden, sagt Murwitz, Sie werden es nicht vermeiden können, den Schenkungsvertrag im Zusammenhang mit der Persönlichkeitsveränderung von Herrn Konrad Zeller zu bewerten. Niemand unterstellt Ihnen, daß Sie diesen Vertrag angeregt oder begünstigt haben, aber Sie müssen gewärtig sein, daß die Inkraftsetzung des Vertrages nicht vorbehaltlos akzeptiert werden wird; denn er bedenkt Sie so weitgehend, daß eine Gefährdung des Familienbesitzes nicht von der Hand zu weisen ist.
Eine Gefährdung. Des Familienbesitzes. Joachim streckt mir die Hände entgegen, seine Freundlichkeit, seine Besorgtheit: Du verstehst doch, Bruno, was damit gesagt ist – wenn der Besitz aufgeteilt wird, dann verliert alles hier seinen Wert, dann ist die Arbeit vieler Jahre umsonst gewesen, nur, wenn alles zusammenbleibt, können die Hollenhusener Quartiere weiterbestehen, und das willst du doch auch, oder?
Warum holen sie nicht den Chef, warum lassen sie ihn nicht sagen, was zu sagen ist? Er, der für alles seine Gründe hat, würde ihnen schon erklären, weshalb er den Vertrag aufgesetzt hat.
Nun mal ganz offen, Bruno – das ist die Stimme von Max –, ganz unter uns: du hast dem Chef von Anfang an geholfen, du hast alles mitgemacht, und was man dir aufgetragen hat, hast du immer zur Zufriedenheit ausgeführt; aber traust du dir zu, all das, was hier getan werden muß, selbst zu tun? Zu bestimmen, wie das Land bewirtschaftet wird? Zu berechnen, Anweisungen zu geben, zu verwalten und zu planen? Traust du dir das zu? Ich weiß nicht, was ich darauf sagen soll, worauf sie hinauswollen, ich hab noch nicht darüber nachgedacht, ich spüre nur, daß jeder von ihnen mehr weiß als ich, das spüre ich, und ich hab auch schon gemerkt, daß sie mich einkreisen. Nun, Bruno? Hierbleiben, sage ich, das ist alles, was ich möchte, sonst will ich nichts, wenn wir zusammenbleiben, der Chef und wir alle.
Wie schnell Murwitz sich aufrichtet, wie überrascht er sich umsieht, gewiß habe ich ihm etwas zum Gefallen gesagt, schon ist er dabei, seine Papiere durchzufingern, findet aber nicht, wonach er gesucht hat, und nun guckt er mich an: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, Herr Messmer, bedeutet Ihnen die Fortsetzung Ihrer Tätigkeit hier mehr als alles andere, das heißt, Sie wären unter Umständen bereit, auf die Schenkung zu verzichten, mit der der Vertrag Sie bedenkt? Falls es sich so verhält, könnte eine Verzichtserklärung von Ihnen wesentlich dazu beitragen, den Fortbestand der Hollenhusener Quartiere zu sichern. Dürfen wir Sie so verstehen?
Ich weiß gar nicht mehr, was ich gesagt hab, der Hals schwillt zu, ich fühl es, jetzt könnte ich nicht mehr rufen, den Chef rufen, aber vielleicht ahnt er, wie ich ihn brauche, jetzt muß er für mich
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