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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
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Kreuzweg in die Irre führt. Meine Zukunft kam ihr so undurchdringlich vor, daß sie meine Hand kopfschüttelnd losließ und mich besorgt anguckte.
    Die warme, süßliche Luft machte mich schläfrig, Magda jedoch war überhaupt nicht müde, grüblerisch starrte sie vor sich hin, seufzte, ihre Stirn war ganz verfaltet vom Überlegen, sie mußte an Dorothea denken, an die einmalige Frau Zeller, wie sie sie nannte, sie hatte sie weinen gehört zu Beginn des neuen Jahres und war sich gewiß, daß wir uns auf allerhand gefaßt machen müßten in der nächsten Zeit.
    Wie zärtlich sie über die Schmucknadel strich, über die silberne Möwe im Flug, die sie von Dorothea zu Weihnachten bekommen hatte. Wie entschieden sie über den Chef sagen konnte, daß er ungerecht sei und griesgrämig und verbittert – da versuchte ich erst gar nicht, ihr zu widersprechen. Plötzlich wollte sie von mir wissen, was ich für das Wichtigste hielte, darauf hab ich sie wohl so verblüfft angesehen, daß sie lächeln mußte und mir schnell einmal übers Haar strich. Unabhängigkeit; sie sagte: Glaub mir, Bruno, nichts ist so wichtig wie Unabhängigkeit, wer die erreicht hat, der hat das Beste erreicht. Und sie sagte auch: Ich hab viel darüber nachgedacht, und vielleicht solltest du auch mal darüber nachdenken.
    Auf einmal hat sie mir einen Arm um die Schulter gelegt, und das war so schön, daß ich mich kaum zu rühren wagte. Nach einer Weile hat sie meinen Rücken gestreichelt, behutsam, so, wie nur sie es kann, und dabei hat sie immer nur auf die Kontrollscheibe meines Ofens gesehen, hinter der es stetig glühte – der Chef selbst hatte mir diesen Ofen ausgesucht, weil sich in ihm die Glut besonders lange hielt, manchmal zehn Stunden. Ganz sacht hab ich mich zu ihr hingeneigt und mein Gesicht an sie gelehnt, aber die Holzperlenkette drückte derart gegen meine Wange, daß ich mich nur gegen ihren Arm lehnte. Magda hat ein Überbein, wie ich, das sah ich, als sie ihren Schuh runterplumpsen ließ und sich weiter hinaufzog auf mein Lager. Im Ofen rumorte es leise, sackte zusammen und lagerte sich ab, wir löschten das Licht, wir hatten genug an dem kleinen gelben Auge der Kontrollscheibe. Viel gesagt haben wir nicht, einmal fragte mich Magda nur, woher mein ewiger Hunger kommt, ich wußte es nicht, und als sie wissen wollte, ob ich schon einmal so satt gewesen sei, daß nichts mehr in mich hineinging, aber wirklich nichts mehr – da mußte ich zugeben, daß ich mich nicht daran erinnern konnte. Sie traute sich zu, es zu schaffen, ich spürte, wie sie bereits etwas erwog und in Gedanken zusammenstellte und bemaß, das meinen Hunger vollkommen stillen könnte, sie verriet es aber nicht, sie beließ es bei der Ankündigung, daß sie das Loch in meinem Bauch eines Tages stopfen werde, so walte Gott, Bruno. Zufrieden in dieser Gewißheit, streckte sie sich aus, drehte sich aus meiner Kuhle und atmete so gleichmäßig, als wartete sie nun auf den Schlaf. Auch ich streckte mich aus und legte vorsichtig und erkundend einen Arm um Magda und mußte staunen, wie weich sie war. Unsere Hände berührten und erfaßten sich. Damals blieb sie zum ersten Mal bei mir, es waren nur ein paar Stunden, denn sie mußte früh zur Festung zurück, und nachdem sie gegangen war, dachte ich an den Sommer und an die Einsamkeit einiger Quartiere, vor allem aber dachte ich an sie und an mich. Für das Gefühl konnte Bruno anfangs überhaupt keinen Namen finden, aber dann fand ich ihn doch: es war einfach Leichtigkeit, eine betäubende Leichtigkeit in allem. Das war es.
    Am schönsten waren die Anfänge, weil die Anfänge am schwersten sind, kommt aus ihnen die größte Freude, und weil noch nichts geplant und festgelegt ist, kann man allerhand Eigenes ausprobieren, das bringt die größte Zufriedenheit.
    Da klopft doch einer, das sind die Klopfzeichen von Max, er versucht es also wieder, und jetzt werde ich ihm aufmachen, jetzt muß ich es. Einen Augenblick. Elef? Was will Elef von mir, woher weiß er, daß ich hier bin? Am Schirm seiner Mütze guckt bereits die Pappe durch, wie klein er wirkt in den zerknitterten Röhrenhosen, und wie leicht ihm anzusehen ist, daß er einen Kummer abladen will bei mir. Komm rein, Elef. Er will mich nicht stören zu Hause, er kommt nicht wegen Messern oder Sägen oder weil mir schon wieder der Verlust einer Schere gemeldet werden muß, er hat etwas anderes auf dem Herzen. Setz dich doch hin, Elef. Unruhiger war er nie. Wie er druckst und

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